Der Tod als Lebenswandlung

Rudolf Steiner

Bern, 29. November 1917


Ich knüpfe an an Betrachtungen, die ich hier angestellt habe in einem vorigen Vortrage, gewissermaßen um fortzusetzen diese Be- trachtungen, die in der Linie desjenigen liegen, wovon ich überzeugt sein muß, daß sie gerade jetzt unter uns besprochen werden müssen. Denn geradeso wie ich die Meinung haben muß, daß jetzt in den öffentlichen Vorträgen, die von anthroposophischer Seite gehalten werden, ganz bestimmte, durch die Zeichen unserer schweren Zeit herausgeforderte Dinge gesagt werden müssen, zu den Ohren der Menschen dringen müssen, so bin ich auch notwendigerweise der Anschauung, daß unter uns selbst ganz bestimmte geisteswissen- schaftliche Wahrheiten jetzt besprochen werden müssen. In einem vorigen Vortrage hat es sich nämlich darum gehandelt, zu sprechen über das Hereinleben der durch die Pforte des Todes gegangenen Seelen in das Erdenleben. Wir haben Betrachtungen an- gestellt über die Art und Weise, wie die Impulse der sogenannten Toten fortwirken in demjenigen, was hier auf Erden durch Men- schen vollbracht wird, wie Zusammenhänge geschaffen werden zwi- schen den Kräften der sogenannten Toten und der Lebendigen. Und wir wollen heute einiges, das innig zu diesem Thema gehört, hinzu- fügen.

Vor allen Dingen ist es notwendig, sich klarzumachen, daß dieses Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von uns zwar in gewissem Sinne nur mit Bildern dargestellt werden kann, die ent- nommen sind dem Sinnlichen, dem physischen Erdenleben, den Vorstellungen, die wir uns innerhalb dieses physischen Erdenlebens bilden, daß aber das Leben im Bereiche der Toten doch eben ein sol- ches ist, daß es sich nur sehr schwer fassen läßt mit den Begriffen und Vorstellungen, die wir uns im Erdenwerden bilden. Man muß daher versuchen, von verschiedenen Seiten her sich diesem Leben zu nähern.

Ein Versuch, möchte ich sagen, ist einmal gemacht worden un- mittelbar vor dem Ausbruch dieser Weltkatastrophe in jenem Wie- ner Zyklus, wo ich über das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt im Zusammenhange mit den inneren Kräften der See- le gesprochen habe. Heute möchte ich vor allen Dingen darauf auf- merksam machen, daß ein Gebiet, das dem Menschen im Erden- leben in einer gewissen Beziehung die Hauptsache ist und die Hauptsache sein muß, daß ein gewisses Gebiet aus den Erfahrungen, aus den Erlebnissen der durch die Todespforte gegangenen Seelen ausgeschlossen ist.

Denken Sie nur, wieviel wir haben als Erdenmenschen durch Vorstellungen, die uns zukommen aus der mineralischen und aus der pflanzlichen Welt. Wir müssen zu diesen Vorstellungen aus der mineralischen und pflanzlichen Welt auch alles dasjenige hinzu- zählen, was uns aus dem Himmelsraume an Vorstellungen, an Ein- drücken, an Wahrnehmungen zukommt: der bestirnte Himmel über uns, die Sonne, der Mond, indem sie uns physische Bilder als Wahrnehmungen ermöglichen während unseres Erdenlebens, gehö- ren durchaus zu dem, was ich jetzt zur mineralischen Natur rechne. Diese mineralische und im wesentlichen - ich sage: im wesentlichen - auch die pflanzliche Natur als Natur sind ausgeschlossen von dem, was wahrgenommen wird in der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Dasjenige, was nach dieser Richtung hin als beson- ders charakteristisch hervorgehoben werden kann mit Bezug auf die Erlebnisse der sogenannten Toten, das ist, daß, wenn wir der mine- ralischen oder der pflanzlichen Natur gegenüberstehen, wir Men- schen hier auf der Erde ein ganz bestimmtes Bewußtsein haben. Wir haben ja bei anderer Gelegenheit davon gesprochen, daß es eine Illu- sion ist, von der Schmerzlosigkeit oder Lustlosigkeit des minerali- schen, des pflanzlichen Reiches zu sprechen. Durch dasjenige aber, was wir Menschen mit unseren Handlungen ausführen, machen wir Eindrücke auf das mineralische Reich und auch auf das pflanzliche Reich, von denen wir mit einem gewissen Recht sagen können, daß sie ohne solche Eindrücke, ohne solche Wirkungen bleiben, welche Schmerz oder Lust, Leid oder Freude verbreiten. Wir wissen, wenn wir als Menschen einen Stein zerschlagen, daß da gewisse Elementar- wesen allerdings solche Lust, solches Leid empfinden, aber in unser gewöhnliches, alltägliches Bewußtsein kommt das nicht; so daß man also innerhalb des Erlebens des gewöhnlichen Erdenmenschen da- von sprechen kann, daß er das Gefühl haben muß: Wenn er Steine zerklopft, wenn er irgendeine Verrichtung unternimmt innerhalb desjenigen, was mineralischer und im wesentlichen auch pflanzli- cher Natur ist, so bereitet es seiner Umgebung weder Lust noch Schmerz.

Das aber gibt es gar nicht in dem Reiche, das der Mensch betritt, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist. Darüber muß man sich vor allen Dingen klar sein, daß das Geringste, was dort der Mensch vollbringt - wir müssen uns eben der Worte unserer Erden- sprache bedienen -, etwa wenn er nur anrührt irgend etwas, so ist das verbunden in diesem geistigen Reiche entweder mit Lust oder Leid, und ruft auch hervor irgendwie Sympathie oder Antipathie. Also Sie müssen sich dieses Reich der Toten so vorstellen, daß, wo Sie es nur gewissermaßen berühren, Sie eine solche Berührung gar nicht ausführen können, ohne daß dasjenige, was Sie berühren, für sich Lust und Leid empfindet, aber auch irgendwelche Sympa- thien oder Antipathien entwickelt. Angedeutet ist das schon in mei- ner "Theosophie", wo von dem Seelenreiche gesprochen ist, und wo die wichtigsten Kräfte dieses Seelenreiches eben in den Kräften der Sympathie und Antipathie gesucht werden. Aber man muß solche Dinge in seine lebendigen Vorstellungen aufnehmen. Man muß, in- dem man sich bewußt wird des Zusammenwirkens gewissermaßen des Totenreiches und des Reiches der sogenannten Lebendigen, man muß sich auch bewußt sein, wie man sich vorzustellen hat, daß der Tote gewissermaßen in seinem Reiche schaltet und waltet. Er schal- tet so, daß er sich gewissermaßen immer bewußt sein muß: er ruft Sympathie oder Antipathie hervor, Leid oder Freude, alles, was er tut, bringt, wenn ich so sagen darf, diese Resonanz dieses lebendigen Empfindens. Etwas, was man in dem Sinne unseres pflanzlichen und tierischen Reiches unempfindlich nennen könnte, gibt es jenseits der Pforte des Todes gar nicht.

Das ist gewissermaßen die Charakteristik des alleruntersten Rei- ches, in das der Mensch eintritt, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist; wie er, wenn er hier durch die Pforte der Geburt das physische Reich betritt, in das unterste Gebiet, in das Mineralreich eintritt, so tritt er dort, indem er das geistige Reich berührt, in ein Reich allgemeiner Empfindungsfähigkeit, in ein Reich der walten- den Sympathie und Antipathie. Innerhalb dieses Reiches entfaltet er seine Kräfte; innerhalb dieses Reiches wirkt er. Wenn wir uns vor- stellen, er handelt dort, so müssen wir uns zugleich vorstellen: von diesen Handlungen gehen aus fortwährende empfindungtragende Kräfte, Sympathien und Antipathien tragende Kräfte. Was bedeuten im gesamten Zusammenhange des Weltenalls diese empfindungtragenden Kräfte? Sehen Sie, da kommt man auf ein Kapitel, welches eigentlich wirklich nur durch geistige Wissenschaft für das physische Erdenleben gelöst werden kann, ein Kapitel, des- sen Wichtigkeit gleich von Ihnen eingesehen werden wird, wenn Sie die ganze Tragweite überdenken. Vieles tritt gerade in der gegenwär- tigen Zeit auf, so daß der Mensch, der immer mehr und mehr nur dasjenige gelten lassen will für eine Welterklärung, was er innerhalb der physischen Welt findet, verzichtet auf eine Erklärung, daß er absieht von einer Erklärung.

So etwas, wo in der neueren Zeit abgesehen worden ist von einer Erklärung, ist das Prinzip der Entwickelung für die mit uns die Erde bewohnenden tierischen Wesen. Ich brauche Sie nur darauf auf- merksam zu machen, was alles in der neueren Zeit aufgetreten ist, um das, was man Entwickelungslehre nennt, zu stützen. Mit einem gewissen Recht spricht man so heute von der Entwickelung der tie- rischen Welt, daß man annimmt, diese tierische Welt habe sich aus unvollkommeneren Wesen zu vollkommeneren heraufentwickelt. Besser würde man sagen: Sie habe sich von undifferenzierten Wesen zu immer differenzierteren und differenzierteren entwickelt, bis herauf zur menschlichen Natur, insofern der Mensch ein physisches Wesen ist. Diese Entwickelungslehre ist zum großen Teil auch schon in das populäre Bewußtsein der Menschheit eingegangen, sie ist in einem gewissen Sinne sogar schon ein Bestandteil der weltlichen Religion der Menschheit geworden, und die Religionen, die Konfessio- nen selbst bemühen sich ja, mit dieser Entwickelungslehre zu rech- nen. Sie haben, wenigstens in ihren wichtigeren Vertretern, nicht mehr den Mut, den sie noch vor kurzer Zeit gehabt haben: gegen diese Entwickelungslehre aufzutreten. Sie haben sie gewissermaßen akzeptiert und finden sich damit ab.

Nun aber, wenn man frägt: Was wirkt denn da eigentlich in der Entwickelung der tierischen Wesen, wenn sich solche tierischen Wesen von unvollkommenen an zu vollkommeneren entwickeln, was wirkt überhaupt in alldem, was man in der tierischen Welt beobachten kann, nicht nur in der Entwickelung, sondern über- haupt in dem Dasein der tierischen Welt? So sonderbar es dem heu- tigen Menschen noch klingt: Dasjenige, was einem entgegentritt, wenn man wirklich durch das schauende Bewußtsein eintritt in das Reich, das von den Toten bewohnt wird, dasjenige, was in der tieri- schen Welt beherrschend wirkt durch einen großen Teil dieser tieri- schen Welt hindurch, das sind Kräfte, die von den Toten ausgehen. Der Mensch ist berufen, im Kosmos Mitbeherrscher der Impulse zu sein. - Im mineralischen Reiche hat er nur dasjenige zu tun, was er durch seine Technik verfertigt an Maschinen und dergleichen nach den Gesetzen des mineralischen Reiches, im pflanzlichen Reich mit dem, was er als Gärtner, als Pflanzer züchtet. Mit diesen Reichen hat er also höchstens in zweiter Linie zu tun in der Zeit, die er zubringt zwischen der Geburt und dem Tode. Mit demjenigen Reiche aber, das hier auf der Erde im tierischen Dasein sich spiegelt, hat er zu tun, indem ihm nach dem Tode sofort Kräfte erwachsen, indem er sofort in ein Gebiet von Kräften eintritt, welche dieses tierische Reich beherrschen. Da arbeitet er darinnen. Das ist gewissermaßen ebenso für ihn die Basis, die Grundlage seines Wirkens, wie für uns die mineralische Welt ist; das ist der Grund und Boden, auf dem man dort steht.

Es erhebt sich, wie sich für uns während unseres Daseins in der physischen Welt das Pflanzenreich erhebt auf Grundlage des mine- ralischen Reiches, auf der Grundlage dieses Reiches von waltenden Sympathien und Antipathien, die sich dann fortsetzen in das Leben des irdischen Tierreiches hinein, ein zweites Reich, welches nun nicht so wirkt im Toten, daß er bloß Lust und Leid empfindet, daß er bloß von Empfindungen getragene Impulse aussendet, die sich dann fortsetzen, die dann wirken, sondern dieses zweite Reich, das sich da erhebt, das wirkt im wesentlichen zusammen mit dem, was man nennen könnte Erstarkung und Ablähmung der dem Toten nach dem Tode eignenden Willenskräfte. Sie müssen, wenn Sie sich über diese Willenskräfte richtig unterrichten wollen, etwas nachle- sen in dem genannten Wiener Zyklus, wo ich charakterisiert habe, wie der Wille, der der Menschenseele eignet zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, nicht genau so ist wie das, was wir hier im phy- sischen Leben Wille nennen; aber wir können immerhin vom Wil- len sprechen, obwohl der Wille dort ganz anders, namentlich von Gefühlselementen und noch von einem anderen Elemente durch- setzt ist, das es hier auf Erden gar nicht gibt. Aber dieser Wille, der ist nach dem Tode für die Menschenseelen in einem fortwährenden Aufundabfluten begriffen. Wenn man mit einem Toten verkehrt, so erlebt man sein Seelenleben so, daß einem in einem Augenblicke entgegentritt: Er fühlt sich verstärkt in seinen Willensimpulsen, er fühlt sich in sich selbst stärker; in einem anderen Augenblicke lähmt sich der Wille etwas ab, schläft gewissermaßen ein. So flutet zwischen Stärkerwerden und Schwächerwerden dieser Wille dahin. Und dieses Fluten zwischen Stärkerwerden und Schwächerwerden des Willens, das ist ein großer Teil, ein wichtiger, wesentlicher Teil im Leben des Toten.

Dieses Stärker- und Schwächerwerden des Willens, das sind aber Impulse, welche nun nicht etwa bloß in die Basis des Totenreiches hineinfluten, sondern welche hineinfluten in das Menschenreich hier auf Erden, zwar nicht in die Gedanken des gewöhnlichen Be- wußtseins, wohl aber in alles dasjenige, was die Menschen hier - ich werde das morgen sogar im öffentlichen Vortrage zu besprechen ha- ben - selbst erleben als Willensimpulse, aber auch als Gefühlsimpulse. Das ist ja das Eigentümliche, daß der Mensch klar in seinem ge- wöhnlichen Bewußtsein als physischer Erdenmensch eigentlich nur seine Sinneswahrnehmung und seine Gedanken erlebt. Waches Bewußtsein ist nur in bezug auf dieses Wahrnehmen und Denken vor- handen; Gefühle werden eigentlich nur geträumt, und der Wille wird überhaupt verschlafen. Niemand weiß so, wie er von seinen Gedanken weiß, was sich vollzieht, wenn er nur eine Hand aufhebt, wenn der Wille also in seine Leiblichkeit hineinspielt. Auch das Walten des Gefühls, obwohl es etwas heller im Bewußtsein anwe- send ist als das Walten des Willens, ist dunkel, ist nicht heller als das- jenige, was wir im Traume als Bilder vor uns haben. Leidenschaften, Affekte, Gefühle, sie werden in Wahrheit nur geträumt, sie werden nicht in der Helligkeit des Bewußtseins in den Vorstellungen und in den Sinneswahrnehmungen gelebt, erfahren; und der Wille schon gar nicht. In diesem, was da als Schlaf, als Traum in das alltägliche Leben hineinspielt, in dem lebt mit der Tote. Er lebt mit Seelen, die auf der Erde im physischen Leibe verkörpert sind, in ihnen lebt er gerade so, wie wir innerhalb der Pflanzenwelt leben, nur daß wir mit der Pflanzenwelt nicht innig verbunden sind, der Tote aber mit unseren Gefühlen, Affekten, mit unseren Willensimpulsen innig verbunden ist; er lebt fort in alledem.

Das ist sein zweites Reich. Und während wir hier unsere Gefühle, unsere Empfindungen im Menschenleben entfalten, lebt in diesem Leben seelenhaftig der Tote mit fort, und zwar so, daß gerade jenes Fluten, das ich beschrieben habe als Stärker- und Schwächerwerden des Willens, als Verstärkung und Ablähmung des Willens des Toten, in einer gewissen Beziehung eins ist mit dem, was auf Erden hier als Gefühle und Willensimpulse der sogenannten Lebendigen erträumt und erschlafen wird.

Sie sehen daraus, wie wenig eigentlich das Reich der Toten von unserem Erdenreiche wirklich getrennt ist, wie innige Verbindung zwischen diesen Reichen ist. Wie gesagt, unter normalen Verhältnis- sen wird der Tote nichts zu tun haben - mit den Ausnahmen, die ich nachher besprechen werde - mit dem mineralischen und pflanzli- chen Reiche; wohl aber hat er zu tun mit dem, was im tierischen Reiche vorgeht. Das ist gewissermaßen der Boden, auf dem er steht. Er hat aber zu tun mit dem, was im menschlichen Gefühls- und Wil- lensreiche vor sich geht. In diesem Reiche sind wir von den Toten durchaus nicht getrennt. Aber die Sache ist so: Man kann, wenn man durch die Pforte des Todes geht, indem man diese Verstärkun- gen und Schwächungen des Willens erlebt, leben mit den sogenann- ten Lebendigen im physischen Leibe; aber nicht mit allen, nicht mit irgendeinem. Sondern da ist das bestimmte Gesetz, daß man leben kann nur mit denjenigen, mit denen man irgendwie karmisch ver- knüpft ist. Also ein karmisch ganz Fremder, der hier lebt, ist für ei- nen Toten nicht wahrnehmbar, gar nicht vorhanden. Die Welt, die der Tote erlebt, die umgrenzt sich durch das Karma, das sich hier im Leben angesponnen hat. Nur ist diese Welt nicht beschränkt auf die- jenigen Seelen, die hier auf Erden sind, sondern sie dehnt sich aus auch über diejenigen Seelen, die selbst schon durch die Pforte des Todes gegangen sind.

Dieses zweite Reich umfaßt also alle Verbindungen, welche der Mensch karmisch eingegangen ist mit denjenigen, die noch auf Er- den sind, und mit denjenigen Seelen, die gleich ihm selber durch die Pforte des Todes gegangen sind. Es erhebt sich also auf einem Reich, das den Toten gemeinsam ist, auf einem Reiche des tierischen Da- seins, wobei wir uns nicht so sehr irdische Tiere vorzustellen haben. Ich habe ausdrücklich gesagt, diese irdischen Tiere spiegeln dasjeni- ge, was in der geistigen Welt vorhanden ist, die Gattungsseele des Tieres. In bezug auf die Toten müssen wir mehr an das Geistige des Tierischen denken, auf diesem gemeinsamen Boden erhebt sich dann in ganz anderem Sinne, als das hier in unserem Erdenreich der Fall ist, für jeden Toten ein individuelles karmisches Reich; denn der eine hat diese, der andere jene Verbindung geschlossen. Denn nur dasjenige ist da vom Menschenreich, womit karmische Verbindun- gen geschlossen sind.

Und noch ein anderes Gesetz herrscht da, welches uns zeigt, wie eigentlich dieses zweite Reich sich aufbaut. Zunächst ist dasjenige, was in diesem Reiche auf den Toten so wirkt, daß es seine Willens- kräfte verstärkt oder sie ablähmt, zunächst auf einen Kreis be- schränkt, der im wesentlichen durch das letzte Erdenleben oder so- gar vielleicht nur durch Teile des letzten Erdenlebens gebildet wird. Diejenigen, die ihm besonders nahegestanden haben, diejenigen, mit denen der durch die Pforte des Todes Gegangene besonders eng ver- bunden war, die sind es, mit denen er besonders intensiv lebt. Und erst allmählich dehnt sich dieser Kreis aus über diejenigen, mit de- nen er im weiteren karmische Verbindungen eingegangen ist. Und das alles dauert keineswegs für jeden dieselbe Zeit, sondern für manchen kürzer, für manchen länger. Man kann kaum aus dem irdischen Verlauf des Lebens ersehen, wie sich das nach dem Tode macht. Manche Persönlichkeiten, manche Seelen treten auf, ohne daß man es erwartet, im Bereiche des Toten, weil man aus dem phy- sischen Leben sehr leicht falsche Schlüsse ziehen kann. Aber das ist ein Grundgesetz: daß sich der Kreis allmählich erweitert. Und das ganze Einleben in diesen Kreis, das geschieht eben so, wie ich es in jenem Vortragszyklus, der da handelt von dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, geschildert habe; was in diesem, was ich da geschildert habe, eintritt in dieses Leben des Toten, das ist eben dieses sich ausbreitende Leben der Willensimpulse, die jetzt ganz ge- nau so im Toten sind, wie die Vorstellungen im Lebendigen, durch die der Tote weiß, durch die der Tote sein Bewußtsein hat. Es ist au- ßerordentlich schwierig, dem Erdenmenschen klarzumachen, daß der Tote im wesentlichen durch den Willen weiß, während der Er- denmensch im wesentlichen durch die Vorstellung weiß. Das macht selbstverständlich auch die Verständigung mit dem Toten schwierig. Das erweitert sich, kann man sagen, das Reich, in das sich der To- te als in das zweite Reich einlebt, immer mehr und mehr. Später - aber dieses "später" ist immer relativ, bei dem einen tritt es früher, bei dem anderen tritt es später ein - kommen dann zu den unmittel- baren karmischen Verbindungen die mittelbaren hinzu.

Das meine ich so: Wenn ein Toter eine gewisse Zeit in dem Rei- che zwischen dem Tod und einer neuen Geburt zugebracht hat, so hat sich der Kreis seiner Erlebnisse erweitert und erstreckt sich über diejenigen Seelen - seien sie auf der Erde, seien sie drüben -, mit de- nen er in unmittelbar karmische Verbindung getreten ist. Nun aber haben diese Seelen wiederum karmische Verbindungen ihrerseits, die nicht zugleich karmische Verbindungen des Toten, den ich mei- ne, sind. Also ich will so sagen: Die Persönlichkeit A hat eine karmische Verbindung mit der Persönlichkeit B, aber nicht mit der Persönlichkeit C. Da sieht man, wie der Tote seine Erlebnisse über die Persönlichkeit B ausdehnt, wie er mit der lebt in der geschilderten Weise. Später kommt dann dazu, daß der B ein Vermittler wird zu dem C. Der A hat keine Beziehung zu dem C, aber er bekommt eine Beziehung mittelbar dadurch, daß der B eine karmische Verbindung zu dem C hat. Dadurch aber erweitert sich dieses zweite Reich zwar langsam, aber allmählich über ein sehr, sehr großes Feld. Man wird gewissermaßen immer reicher und reicher an solchem inneren Erle- ben, an solchen Erlebnissen, die Verstärkung und Schwächung des Willens sind, die uns einleben müssen in das Reich der toten, oder lebendigen Seelen, wenn wir selber durch die Pforte des Todes gegangen sind.

Und ein wesentlicher Teil des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt besteht eben gerade darinnen, daß wir als Seelen - wenn ich mich trivial ausdrücken darf - immer weitere und weitere Bekannt- schaften machen. Wie wir hier im Erdendasein unsere Erfahrungen erweitern zwischen der Geburt und dem Tode, wie wir hier immer mehr und mehr die Welt um uns herum kennenlernen, so machen wir dort immer mehr und mehr Erlebnisse durch, welche sich dar- auf beziehen, daß man das Dasein anderer Seelen so empfindet, daß man weiß: Durch irgend etwas in diesen Seelen erfährt man selber eine Willensstärkung, durch anderes eine Willensschwächung. Ein wesentlicher Teil des Erlebens besteht dort darinnen.

Sie können daraus entnehmen, was das eigentlich für das Gesamt- dasein, für das gesamte kosmische Dasein bedeutet. Es bedeutet, daß nicht nur dieses verwaschene Einheitsband zwischen der ganzen Menschheit besteht, von dem die Pantheisten und die phantasti- schen Mystiker schwärmen und träumen, sondern daß tatsächlich in einer gewissen Beziehung zwischen dem Tod und einer neuen Ge- burt spirituelle Bekanntschaften zwischen einem großen Teil der Menschheit über die Erde hin geschlossen werden. Wir stehen, wenn wir auf das blicken, was wir zwischen dem Tod und einer neu- en Geburt erleben, den Erdenmenschen wirklich nicht allzuferne. Es ist nicht ein abstraktes, sondern ein wirklich konkretes Band.

Wie hier dann auf der Erde das Tierreich als ein drittes Reich sich aufstellt über das mineralische und über das pflanzliche Reich, so drüben als ein drittes Reich das Reich gewisser Hierarchien, das wir erblicken als ein Reich von solchen Wesenheiten, die niemals irdi- sche Verkörperung erfahren, mit denen wir aber in Beziehungen tre- ten zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Dieses Reich der Hierarchien, das ist drüben zugleich dasjenige, was uns zwischen dem Tod und einer neuen Geburt die volle Intensität unseres Ich- Erlebens gibt. Durch die zwei ersten Reiche erleben wir das andere; uns selbst erleben wir durch die Hierarchien. Und damit ist auch schon gesagt, daß der Mensch als geistiges Wesen sich innerhalb der Hierarchien drüben erlebt als Sohn, als Kind der Hierarchien. Er weiß sich mit den anderen menschlichen Seelen verbunden, wie ich es geschildert habe, er weiß sich aber auch zu gleicher Zeit als Kind der Hierarchien. Wie er sich hier als Zusammenfluß der äußeren na- türlichen Kräfte des umgebenden Kosmos fühlen muß, wenn er sich erkennt im Kosmos, so fühlt er sich drüben, ich möchte sagen, orga- nisiert aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Hierarchien als geistiges Wesen.

Wir blicken hier, wenn wir uns als Menschen betrachten - das braucht uns ja nicht zum Hochmut zu führen -, auf die sogenannten niederen Reiche und sehen uns hier als Menschen gewissermaßen an die Spitze dieser Naturreiche gestellt. Wir gehen durch die Pforte des Todes und finden uns drüben als das unterste der Hierarchienrei- che, aber als den Zusammenfluß - nur daß der Zusammenfluß von oben heruntergeht, so wie er hier von unten hinaufgeht - der Impul- se der Hierarchien. Wie hier unser Ich eingesenkt ist in unsere Leib- lichkeit, so daß es ein Extrakt ist der übrigen Natur, so ist dort unse- re Geistigkeit eingesenkt in die Hierarchien, ein Extrakt der Hierar- chien, in dasjenige, von dem man sagen kann: Es ist dort unsere Gei- stigkeit, wie hier unsere Leiblichkeit dasjenige ist, in das wir uns ein- kleiden, wenn wir durch die Pforte der Geburt treten. Also das imaginative Erkennen kann sich schon Vorstellungen machen über den Grundriß des Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es wäre auch für den Menschen außerordentlich traurig, wenn er sich solche Vorstellungen gar nicht bilden könnte. Denn denken Sie doch nur, daß wir mit unserem Gefühls- und Wil- lensleben gar nicht getrennt sind von dem Reiche der Toten. Dasje- nige, was sich unserem Anblicke entzieht, das ist nur aus unserer Vorstellung und aus unseren Sinneswahrnehmungen entschwun- den. Es wird einen Riesenfortschritt in der EntWickelung des Men- schengeschlechtes auf der Erde bedeuten, für den Teil des Erdenle- benslaufes, den dieses Menschengeschlecht noch zu durchleben hat, wenn die Menschen das Bewußtsein hier in sich aufnehmen werden: In ihren Gefühlsimpulsen, in ihren Willensimpulsen sind sie mit den Toten eines! - Der Tod kann uns überhaupt nur den physischen Anblick der Toten rauben. Aber wir können nichts fühlen, ohne daß in der Sphäre, in der wir fühlen, die Toten anwesend sind, nichts wollen, ohne daß in der Sphäre, in der wir wollen, die Toten ebenfalls anwesend sind.

Von Ausnahmen habe ich vorhin gesprochen in bezug auf das mi- neralische und pflanzliche Reich. Solche Ausnahmen gelten insbe- sondere für unsere Periode, für unsere Zeitperiode. Für ältere Zeit- perioden haben sie nicht gegolten, aber davon brauchen wir jetzt nicht zu sprechen. In unserer Zeit, in der sich eine gewisse materiali- stische Gesinnung notwendigerweise über die Erde hin ausbreitet, versäumen es die Menschen sehr leicht, sich spirituelle Vorstellun- gen anzueignen während ihres Erdenlebens. Und ich habe sogar ge- stern im öffentlichen Vortrage darauf aufmerksam gemacht, wie der Mensch, wenn er es versäumt, sich spirituelle Vorstellungen wäh- rend seines Erdenlebens anzueignen, sich hereinbannt in das Erden- leben, gewissermaßen nicht heraus kann aus diesem Erdenleben, und dadurch zu einem zerstörenden Zentrum wird. Vieles von dem, was an zerstörenden Kräften wirkt innerhalb der Erdensphäre, kommt von solchen in diese Erdensphäre gebannten Toten. Man muß eher Mitleid haben mit solchen Menschenseelen, als irgendein kritisches Urteil fällen. Denn nach dem Tode ist das Erlebnis nicht besonders leicht, innerhalb eines Reiches bleiben zu müssen, das dem Toten eigentlich nicht angemessen ist. Und dieses Reich ist eben dann in diesem Falle das mineralische und pflanzliche Reich,auch dasjenige mineralische Reich, das die Tiere in sich tragen, das der Mensch selber in sich trägt. Denn diese Wesen sind ja von dem mineralischen Reiche durchdrungen. Für solche, die keine spirituel- len Vorstellungen in sich aufgenommen haben, liegt nämlich die Sa- che so, daß sie zurückschrecken nach dem Tode vor diesem Erleben, das überall Empfindungen hervorruft: Sie können nicht hinein in das Reich, das da waltet in der tierischen Geistigkeit und im Menschlichen; sie können nur hinein in dasjenige, was minerali- scher Natur, was pflanzlicher Natur ist. Ich kann nicht ausmalen, um was es sich da handelt; denn erstens hat die Sprache für das keine Worte, zweitens aber kann man sich nur langsam und allmählich dem nähern, was da eigentlich zugrunde liegt, weil dieses Nähern wirklich zunächst etwas Schreckhaftes hat.

Man darf sich nun nicht etwa vorstellen, daß solche Toten dann ganz enthoben sind dem Leben, das ich vorhin beschrieben habe; aber sie nähern sich diesem Leben nur mit einer gewissen Scheu, mit einer gewissen Furcht, und stürzen immer wieder und wiederum zurück in das pflanzliche und mineralische Reich, weil sie sich vor- zugsweise nur Vorstellungen gebildet haben, die für das letztere Reich, für das Reich des Toten, für das Reich des physischen Mecha- nismus eine gewisse Bedeutung haben.

Was ich in der Hauptsache heute als meine Aufgabe ansehe, das ist, durch solche Vorstellungen wiederum das Bewußtsein hervorzu- rufen, wie die Toten mitwirken an dem, was Menschenentwicke- lung ist. Man möchte eigentlich heute solche Dinge auch schon in öffentlichen Vorträgen verkündigen; man kann es nur nicht, weil die Menschen sich auf solche Vorstellungen doch eigentlich noch nicht einlassen, wenn sie nicht einiges schon durchgemacht haben von dem, was in unseren Zweigen mitgeteilt worden ist. Indem man aber das Leben so schildert zwischen dem Tod und einer neuen Ge- burt, und indem man namentlich seinen Zusammenhang schildert mit dem Erdenleben, genügt man, oder man könnte besser sagen, er- füllt man die Forderungen gerade unseres Zeitalters. Denn unser Zeitalter hat die alten instinktiven Vorstellungen seit verhältnismä- ßig langer Zeit abgeworfen, die vom Reiche der Toten handeln, und es muß unsere Menschheit neue Vorstellungen aufnehmen. Sie muß aus den Abstraktionen über die höheren Welten herauskommen und nicht bloß im allgemeinen von Geistigkeit sprechen, sondern sie muß dahin kommen, wirklich einzusehen, was als Geistigkeit wirkt. Sie muß sich klar sein darüber, daß die Toten nicht verstor- ben sind, sondern im geschichtlichen Werdeprozeß der Menschheit weiterleben, weiterwirken, daß die Kräfte, die geistig um uns herum sind, auf der einen Seite die Kräfte der höheren Hierarchien sind, aber eben auch die Kräfte der Toten sind. Die größte Illusion, der sich die Menschheit der Zukunft hingeben könnte, wäre die, wenn man glauben wollte, daß dasjenige, was die Menschen als soziales Le- ben unter sich, als Zusammenleben hier auf der Erde mit ihrem Füh- len, mit ihrem Willen entwickeln, daß das mit Ausschluß der Toten geschähe, bloß mit irdischen Einrichtungen. Es kann gar nicht durch die bloßen irdischen Einrichtungen geschehen, weil eben schon in dem Gefühl und im Willen die Toten mitwirken.

Nun handelt es sich aber darum: Wie wird es möglich sein, unter den Impulsen der neueren Zeit das Bewußtsein von dieser Art Zu- sammensein mit der geistigen Welt in der rechten Art zu entwik- keln? Die Entwickelung der Menschheit geht ja so, daß mit seinem gewöhnlichen Bewußtsein hier im physischen Leib der Mensch ei- gentlich immer mehr und mehr aus der geistigen Welt sich heraus- stellt. Nun ist zu dem Ziele, daß der Mensch wiederum als physischer Mensch den richtigen Eintritt in die geistige Welt finde, innerhalb der Erdenentwickelung das Mysterium von Golgatha geschehen. Dieses Mysterium von Golgatha, das ist nicht nur dieses einmali- ge und als solches Einmaliges das größte Ereignis der Erdenent- wickelung, sondern es ist ein fortwirkendes Ereignis, es ist ein fort- wirkender Impuls. Und die Menschheit muß etwas dazu tun, um diesen Impuls in der rechten Weise fortwirken zu lassen. Ich habe es seit langer Zeit immer wieder und wiederum betont, wie mit dem Impuls von Golgatha gerade die Aufgabe unserer Geisteswissen- schaft zusammenhänge, wie Geisteswissenschaft in einer gewissen Weise da sein muß, um diesen Impuls von Golgatha in der richtigen Weise für unser Zeitalter und für die nächste Zukunft zu verstehen. Dessen können Sie sicher sein: Als irdische Wissenschaft, die zu gleicher Zeit weltliche Religion bildend sein wird, wird die Naturwissen- schaft immer größeren und größeren Einfluß gewinnen. Solche Tor- heiten wie der Vorwurf, der zum Beispiel mir gemacht wird, daß ich den Naturwissenschaften auch in ihrer radikalen Entwickelung un- freundlich gegenüberstehe, die gehören zu den allerantiquiertesten Vorurteilen in der Denkweise; denn derjenige, der den Lauf der Er- denentwickelung versteht, weiß, daß die Naturwissenschaften nicht widerlegt werden können, daß sie im Gegenteil immer weiter und weiter sich ausbreiten werden. Und dasjenige, was als eine Art von religiösem Glauben über die Welt von Naturwissenschaft gezogen wird, das ist nicht irgendwie anzuhalten, das kommt; das kommt auf der einen Seite sicher, und kommt zum Segen der Menschheit. Und es wird gar nicht lange dauern, vielleicht nur einige Jahrzehnte, dann werden sich keinerlei Konfessionen mehr wehren können dagegen, daß an den einfachsten primitivsten Menschen ein solches Bewußt- sein von dem reinen Naturdasein herankommt, wie es eben die Naturwissenschaft pflegt. Das ist auf der einen Seite schon sicher. Aber auf der anderen Seite ist etwas anderes sicher. Das ist sicher auf der anderen Seite, daß, indem diese rein naturwissenschaftliche Weltanschauung die Gemüter ergreifen wird, das Geistige selbst durch diese Naturwissenschaft immer weniger und weniger wird ge- pflegt werden können. Das Geistige muß von einer anderen Seite her - wenn auch ebenso streng wissenschaftlich - geholt werden, wie die Naturwissenschaft das natürliche Dasein von der einen Seite her erkennt; denn die Erkenntnis des natürlichen Daseins wird im- mer mehr und mehr notwendig sein für die Erfüllung derjenigen Aufgaben, die der Mensch in der Zukunft zwischen der Geburt und dem Tode zu erfüllen hat. Von einer anderen Seite wird ihm kom- men müssen dasjenige, was ihn in die geistige Welt erhebt. Ein Grundimpuls nun für die weitesten Kreise hat sich auch schon in der bisherigen Gestalt des Begreifens des Mysteriums von Golgatha angekündigt, und insbesondere zeigt es sich in unserer Zeit. Man kann heute schon sagen: Die intensivsten Feinde eines Begreifens des Christus-Impulses sind die Pfarrer der verschiedenen Konfessionen -, so sonderbar das klingt; aber was den Christus-Impuls den Menschen am fernsten bringt, das ist die Art wie die Pfarrer der verschiedenen Konfessionen und die Theologen diesen Christus-Impuls vertreten. Denn von einem Verständnis desjenigen, um was es sich bei diesem Christus-Impuls eigentlich handelt, sind die Konfessionen eigentlich heute schon recht, recht weit entfernt. Nun habe ich heute nicht die Absicht, alle wesentlichen Dinge in bezug auf den Christus-Impuls zu sagen. Darüber haben wir ja im Laufe der Zeit mancherlei zusammengetragen und werden das auch noch tun. Aber eines möchte ich hervorheben, was insbesondere in der heutigen Zeit mit Bezug auf den Christus-Impuls ganz besonders stark hervortritt. Das ist, daß die Menschen doch schon einsehen müssen, daß der Christus-Impuls im allerallerintensivsten Sinne an- ders behandelt werden muß als andere geschichtliche Impulse. Sie se- hen das auch ein, die Leute, aber sie schließen fortwährend irgend- welche Kompromisse. Sie machen Halbheiten, sie haben nicht den Mut zu Ganzheiten. Dasjenige, was man über den Christus-Impuls einsehen müßte, ist, daß es unmöglich ist, nach den Methoden der gewöhnlichen Geschichte überhaupt irgend etwas über den Chri- stus-Impuls zu sagen. Bedeutende Theologen sagen, davon, daß die Evangelien echt seien im gewöhnlichen historischen Sinn, könne gar nicht die Rede sein; dasjenige, was angeführt werden kann als hi- storischer, als geschichtlicher Beweis, daß der Christus gelebt hat, das kann man auf eine Quartseite zusammenschreiben, sagen die be- rühmten Theologen. Also berühmte Theologen der Gegenwart ge- ben heute schon zu: Auf die Evangelien kann man sich nicht verlas- sen, wenn man sie als Geschichtsquellen nur behandeln will. Es ist auf keine Weise der Beweis zu liefern, daß sie historische Tatsachen darstellen. - Das ist selbstverständlich heute festzuhalten. Aber das- jenige, was man zur historischen Bekräftigung beibringen kann, so wie historische Dokumente da sind mit Bezug auf andere Persön- lichkeiten der Weltgeschichte, das - sagen berühmte Theologen - könne man auf eine Quartseite schreiben. Das Bedeutungsvolle da- bei ist nur, daß das, was auf dieser Quartseite steht, auch nicht wahr ist im gewöhnlichen historischen Sinn.

Dieses Geständnis wird sich die Menschheit machen müssen: daß es historische Gründe, wie es etwa für Sokrates oder für Cäsar gibt, für das Dasein des Christus Jesus auf der Erde nicht gibt, sondern daß dieses Dasein geistig begriffen werden muß. Das ist gerade das Wesentliche an der Sache. Die Menschheit sollte in dem Mysterium von Golgatha etwas bekommen, woran sie entweder, wenn sie sich nur verlassen will auf physische Zeugnisse, irre werden muß, in be- zug auf das sie durch physische Zeugnisse nichts hat, oder daß sie auf geistige Weise es erfassen muß.

In bezug auf alles übrige ist es der Menschheit freigestellt, nach hi- storischen Zeugnissen zu suchen, mit Bezug auf das Mysterium von Golgatha werden dem Menschen historische Zeugnisse im allerin- tensivsten Sinne niemals etwas nützen, sondern die Menschheit soll- te gezwungen sein, dieses wichtige Ereignis der Erde nicht auf phy- sisch-historische Weise zu begreifen, sondern da einsetzen zu müs- sen mit einem geistigen Verständnisse. Wer nicht will das Mysteri- um von Golgatha ohne historische Dokumente durch geistiges Ver- ständnis unserer Erdentwickelung begreifen, der soll es nicht begrei- fen. Das ist der Wille, man kann schon sagen, der Wille der Götter. Die Menschheit soll mit Bezug auf die wichtigste Erdenangelegen- heit gezwungen sein zur Spiritualität. Sie kann nur das Mysterium von Golgatha begreifen - sonst ist es immer historisch widerlegbar -, wenn sie sich zum geistigen Erfassen der Welt erhebt.

Nur Geisteswissenschaft als solche kann von der Realität des My- steriums von Golgatha sprechen. Man kann sagen: Alles übrige ist antiquiert. Lesen Sie das immerhin bemerkenswerte Buch eines Theologen, der alle Jesus-Theorien der neueren Zeit von Lessing bis Wrede entwickelt, so werden Sie finden, daß eine solche Darstellung den Beweis liefert, daß eigentlich die Historie überwunden sein muß auf diesem Gebiet, daß eine Neuerfassung eintreten muß. Und diese Neuerfassung kann nur auf geisteswissenschaftlichem Wege gefunden werden.

Verstehen wir das, meine lieben Freunde, und in unserer Zeit ist eben derjenige Zeitpunkt gekommen, wo die Menschen das Fort- wirken des Mysteriums von Golgatha nur auf geistige Weise werden erfahren können. Daher habe ich auch von dem geistig-ätherischen Wiedererscheinen des Christus im 20. Jahrhundert gesprochen, und es im ersten Mysterium dargestellt. Aber das wird ein geistiges Erlebnis sein, wenn auch ein geistig-hellseherisches Erlebnis, ein geistiges Erlebnis.

So hängt innig zusammen das Mysterium von Golgatha mit der notwendigen Erhebung der Menschheit zur Spiritualität von unse- rer Zeit an. Ebenso wie sich erheben muß von unserer Zeit an die Menschheit zu einer gewissen Spiritualität, ebenso wahr ist es, daß sie begreifen muß von unserer Zeit an, daß das Mysterium von Gol- gatha fernerhin nur erfaßt werden kann in Spiritualität, daß das Christentum im wesentlichen eine spirituelle Fortsetzung, nicht ei- ne historische Fortsetzung, im äußeren Sinne historische Forschung oder historische Überlieferung erfahren muß. Es handelt sich aber nur darum, daß nun wiederum nicht das, was ich eben gesagt habe, im abstrakten Sinne aufgefaßt werde, daß man nicht glaubt, mit den paar Begriffen vom Erfassen der Bedeutung des Mysteriums von Golgatha, wie man sie sehr häufig sich macht, habe man schon alles getan. Nein, man muß an diese Dinge in voller Konkretheit heran- treten; man muß nicht nur Vorstellungen über den Christus und sein Wirken sich bilden, sondern man muß in einer gewissen Weise das Reich Christi in unserem Erdenreiche finden können. Christus ist in das Erdenreich eingezogen, und man muß sein Gebiet finden können.

Naturwissenschaft, wenn sie sich gerade zur höchsten Vollkom- menheit entwickelt, sie wird ein Bild der Welt geben, wie es auch ohne die Zuhilfenahme des Mysteriums von Golgatha zustande kommen könnte; Naturwissenschaft aus sich selbst heraus wird nie- mals während der Erdenentwickelung so weit kommen, daß der Physiker oder der Biologe von dem Mysterium von Golgatha aus seinen Voraussetzungen heraus sprechen wird. Aber alle Wissen- schaft wird nach und nach, insofern sie von dem handelt, was vor- geht um uns herum von der Geburt bis zum Tode, immer mehr und mehr Naturwissenschaft werden. Neben ihr wird die Geisteswissen- schaft aus dem geistigen Reiche zu schöpfen haben.

Nun handelt es sich aber darum: Wie ist nicht nur eine Wissen- schaft, sondern ein Drinnenstehen in dem geistigen Reiche zu fin- den, so daß wir nicht nur Natur finden ? Denn in einer Natur wer- den wir niemals den Christus-Impuls finden. Wie ist das Sich-hinein- Stellen in das geistige Reich zu suchen, nicht nur das Wissen davon? Nun, Sie erkennen schon aus dem, was ich gesagt habe, daß zu dem Bewußtsein, das wirklich in der modernen und namentlich in der zukünftigen Menschheit ein bloßes natürliches Bewußtsein werden wird, ein Bewußtsein von Naturtatsachen, daß da ein anderes Be- wußtsein hinzutreten muß. Ein ganz anderes Bewußtsein muß noch hinzutreten. Für dieses Bewußtsein wird gewissermaßen die Not- wendigkeit der Erfassung des Mysteriums von Golgatha als einer spirituellen Tatsache nur die höchste Spitze sein. Aber dasjenige, was notwendig ist gegenüber dem Mysterium von Golgatha, die Sa- che als eine spirituelle zu durchschauen, das wird auch auf das übrige Leben ausgedehnt werden müssen. Das heißt aber nichts anderes, als daß eintreten muß in das menschliche Bewußtsein, außer der reinen natürlichen Betrachtung, eine ganz andere Betrachtung der Dinge. Und diese Betrachtung der Dinge, die wird kommen und muß kommen dadurch, daß der Mensch lernt, ebenso mit Bewußtsein zu schauen in die Welt, wie er durch seine Sinneswahrnehmungen in die Sinneswelt schaut, auf seinen Schicksalsverlauf im Großen und im Kleinen. Was meine ich damit? Heute gibt der Mensch noch we- nig acht auf seinen Schicksalsverlauf. Aber betrachten Sie extreme Fälle. Ich will Ihnen einen Fall erzählen, der uns führen kann zu dem, was ich eigentlich meine - ein Fall aus Tausenden. Man könnte Tausende solcher Fälle erzählen, ungezählte Tausende.

Ein Mann geht von seinem Hause einen Spazierweg entlang, den er oft gegangen ist. Er führt ihn einen Berghang hinauf zu einem Felsplateau, von dem aus er eine sehr schöne Aussicht hat. Diese Aussicht hat er oft aufgesucht; es ist sozusagen sein gewöhnlicher Spaziergang. Während er eines Tages diesen Spaziergang machte, da kommt ihm wie aus dem Nichts heraus der Gedanke: Aufpassen, achtgeben! - Und er hört im Geiste - nicht durch eine Halluzina- tion, sondern im Geiste - eine Stimme sagen: Warum gehst du diesen Weg? Kannst du nicht einmal von deinem Vergnügen absehen? - Das hört er im Geiste. Das macht ihn bedenklich; er tritt etwas zur Seite, denkt nach eine Weile -, da saust ein mächtiger Felsblock herab, gerade an die Stelle, die er betreten haben müßte, wenn er nicht beiseite getreten wäre, und der ihn ganz gewiß erschlagen hätte.

Nun bitte ich Sie, sich die Frage einmal vorzulegen, was da schicksalsmäßig spielt. Es spielt doch etwas. Der Mann lebt nun wei- ter. Vieler Menschen Leben auf dieser Erde hängt mit seinem Leben zusammen. Das alles wäre anders geworden, wenn der Felsblock diesen Menschen erschlagen hätte. Da vollzieht sich etwas. Versu- chen Sie, dieses Etwas nach Naturgesetzen zu erklären, so kommen Sie natürlich nicht zu dem, was das Schicksalsgemäße daran ist. Na- türlich können Sie durch Naturgesetze erklären, warum der Fels- block sich losgelöst hat, und warum der Mensch erschlagen worden ist, nachdem der Felsblock schon einmal heruntergefallen ist und so weiter. Aber in alledem, was sich auf naturgemäße Weise da über- haupt reden läßt über die Sache, ist das Schicksalsgemäße gar nicht irgendwie drinnen, das hat gar nichts damit zu tun.

Ich habe Ihnen einen extremen Fall damit erzählt. Aber, meine lieben Freunde, aus solchen Dingen setzt sich unser ganzes Leben zusammen, insofern unser Leben Schicksalswesen ist. Nur daß der Mensch nicht darauf achtet, daß der Mensch nicht achtgibt; er gibt auf diese Dinge nicht so acht, wie er auf das acht gibt, was ihm durch seine Sinne als natürliche Tatsachen übermittelt wird. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Augenblick zu Augenblick gehen Dinge vor, die nur in einem extremen Fall geschildert worden sind mit dem, was ich eben angegeben habe. Denken Sie doch nur ein- mal, wie oft Sie - diese Dinge muß man eben im Kleinen auch be- trachten - weggehen wollen von zu Hause: Sie werden aufgehalten eine halbe Stunde. Solche und ähnliche Dinge kommen tausendfach im Leben vor. Sie sehen nur, was dann geschieht, wenn Sie die halbe Stunde aufgehalten worden sind; Sie erwägen gar nicht, was ganz anderes geschehen wäre, wenn Sie vor einer halben Stunde weg- gegangen wären!

So greift ein ganz anderes Reich in unser Leben wirklich fortwäh- rend herein, das Reich des Schicksalsgemäßen, das der heutige Mensch noch gar nicht beachtet, weil er eigentlich nur den Blick auf dasjenige richtet, was eben geschieht, und nicht darauf, was fortwäh- rend aus seinem Leben ferngehalten wird. Sie können ja gar nicht wissen, ob Sie nicht jetzt vor drei Stunden etwas hätten unterneh- men können, was von Ihnen abgehalten worden ist, wodurch Sie jetzt gar nicht mehr hier sitzen würden, vielleicht gar nicht mehr le- ben würden. Sie sehen immer nur dasjenige, wozu schon geistige Impulse in der mannigfaltigen Weise nötig waren, damit es eingetreten ist. Sie setzen zumeist nicht voraus mit dem gewöhnlichen Bewußt- sein, daß dasjenige, was Sie tun im Leben, ein Ergebnis ist von mit- wirkenden geistigen Impulsen. Werden Sie auf das aufmerksam, be- greifen Sie, daß es ein Reich des Schicksalsgemäßen so gibt, wie es ein Reich des Natürlichen gibt, dann werden Sie dieses Reich des Schicksalsgemäßen keineswegs ärmer an Inhalt finden als das Reich des Natürlichen. Aber in diesem Reich des Schicksalsmäßigen, das nur, ich möchte sagen, in besonderen Ausschnitten, wenn extreme Fälle eintreten, wie der, den ich Ihnen erzählt habe, klipp und klar vor des Menschen Verstand hintritt, in dieses Reich des Schicksals- mäßigen wirkt das herein, was ich vorhin geschildert habe. Da wir- ken herein in die Gefühle, in die Willensimpulse, durch die das Schicksalsmäßige zieht, die Impulse der Toten. Und wenn auch der- jenige Mensch, der so etwas sagt, heute noch von den "ganz Geschei- ten" als ein abergläubischer Tor betrachtet wird, so ist es doch wahr, daß mit eben derselben Exaktheit, wie man heute ein Naturgesetz ausspricht, man aussprechen kann, daß jenem Mann, dem eine Stim- me zugesprochen hat, der oder jener Tote diese Stimme zugespro- chen hat auf den Befehl wiederum von irgendwelchen Hierarchien, und daß fortwährend, vom Morgen bis zum Abend und insbesonde- re vom Abend bis zum Morgen, während unseres Schlafens, in uns hineinwirken die Impulse der Toten, und die Impulse der geistigen Hierarchien, die das Schicksalsmäßige wirken.

Nun mache ich Sie aber auf eines aufmerksam. Sie werden schon etwas gehört haben über den sokratischen Dämon, über den Dämon des Sokrates: wie Sokrates, der weise Grieche, davon gesprochen hat, daß alles, was er tut, unter der Einwirkung eines Dämons steht. Ich habe über diesen sokratischen Dämon in meiner kleinen Schrift "Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit" gespro- chen. In meiner neuen Schrift "Von Seelenrätseln", wo das zweite Kapitel über das gelehrte Individuum Dessoir handelt, kann man se- hen, wie Dessoir auch solche Dinge behandelt; ich habe auf dieses Dämonium des Sokrates hingewiesen. Es ist Sokrates nur zum Bewußtsein gekommen, was bei allen Menschen gewirkt hat. Bis zum Mysterium von Golgatha waren es gewisse Wesenheiten, die rich- tunggebend waren für dasjenige, was die Toten ins Menschenleben hereinwirkten. Diese Wesenheiten haben ihre Kraft verloren in der Zeit des Mysteriums von Golgatha, und an ihre Stelle ist der Chri- stus-Impuls getreten. Und jetzt haben Sie den Christus-Impuls mit dem Schicksalsmäßigen des Menschen geisteswissenschaftlich ver- bunden. In unsere Willens- und in unsere Gefühlssphäre wirken so, wie ich es geschildert habe, die Kräfte, die Impulse der Toten herein. Die Toten wirken; aber sie erleben auch Willensstärkungen und Willensschwächungen. Und dieses ganze Reich ist ein Erdenreich, es ist ebenso wie das natürliche Reich ein Erdenreich. Aber derjenige Impuls, der seit dem Mysterium von Golgatha lebt, der ist seit dem Mysterium von Golgatha der Christus-Impuls. Christus ist die diri- gierende Macht in diesem Reiche, das ich Ihnen geschildert habe. Man wird also nicht nur eine Wissenschaft von dem Mysterium von Golgatha begründen, sondern man wird in der Zukunft wissen müssen: unsere Welt durchdringt, ebenso wie die Welt der natürlichen Tatsachen, ein Reich des Schicksalsmäßigen als der andere Pol. Die- ses Reich des Schicksalsmäßigen wird heute noch wenig beachtet. Man wird es ebenso beachten müssen wie das Reich des Natürli- chen. Aber man wird dann zu gleicher Zeit wissen, daß man in die- sem Reich des Schicksalsgemäßen mit den Toten in Verbindung ist, man wird wissen, daß in diesem Reiche, das wir mit den Toten gemeinsam haben, zugleich das Reich Christi enthalten ist, daß Christus durch das Mysterium von Golgatha auf die Erde herunter- gestiegen ist zu seiner Wirksamkeit, um mit uns Menschen auf Erden das wiederum gemeinsam zu haben, das wir mit den Toten, insofern die Toten im Erdenbereich wirken - ich meine jetzt nicht den Ausnahmefall, sondern den Normalfall -, gemeinsam haben.

Wenn dies nicht bloß eine abstrakte Wahrheit, nicht bloß eine Begriffswahrheit sein wird, so eine Sonntagswahrheit, an die man sich öfter einmal erinnert, weil einem einfällt, daß eben so etwas wahr ist, sondern wenn der Mensch in diesem Reich des Schicksals so bewußt wandeln wird, wie er im Reich der Sinneswahrnehmun- gen bewußt wandelt, wenn er gewissermaßen so, wie er durch die Welt geht und es mit seinen Augen macht, auch in dieses Reich des Schicksals sich einverwoben fühlt, und in diesem Reich des Schick- sals die Kräfte des Christus mit den Kräften der Toten immer zu- sammen fühlt, dann, meine lieben Freunde, wird die Menschheit sich ein wirkliches, ein konkretes, ein empfindungsgemäßes Leben mit den Toten schon entwickeln. Man wird, wenn man selber dies oder jenes fühlt, wenn man selber dies oder jenes bewirkt, erleben, wie man mit den lieben Dahingegangenen darinnen zusammen ist. Das Leben wird unendlich bereichert werden.

Jetzt vergessen wir vielleicht in dem Sinne, wie wir das so nen- nen, unsere Toten nicht; wir halten ihr Andenken. Aber ein intensi- ves Leben - und das wird erst das wahre Leben sein, weil eben sonst das Leben verschlafen wird, insofern es schicksalsmäßig ist -, ein in- tensives Leben wird die Menschheit ergreifen, und das wird schon dazu führen, daß man nicht nur das Andenken der Toten halten wird, sondern daß man wissen wird: Wenn du das tust, wenn du die- sen Gang tust, wenn du das unternimmst, wenn dir das gelingt: es wirkt dieser oder jener Tote mit. - Es werden die Bande mit den To- ten nicht aufgelöst, sie verbleiben. Diese Bereicherung des Lebens steht der Menschheit in Aussicht für die Erdenzukunft. Und wenn wir jetzt den fünften nachatlantischen Zeitraum haben, so wirkt die- ser fünfte nachatlantische Zeitraum im wesentlichen zu der Erzie- hung der Menschheit nach der eben angekündigten Richtung hin, und den sechsten nachatlantischen Zeitraum wird die Menschheit gar nicht überleben können, wenn sie sich nicht anschickt, diese Dinge in der richtigen Weise zu fühlen: die Wirklichkeit des Schick- salsmäßigen aufzunehmen in das Bewußtsein, wie jetzt die Mensch- heit nur die Wirklichkeit des Naturgemäßen aufnimmt. Den Zusammenhang des Mysteriums von Golgatha mit dem Todesproblem konkret einzusehen, das ist es, worauf ich heute hinwei- sen wollte. Das ist auch etwas, was innig zusammenhängt mit dem, was jetzt der Menschheit zum Bewußtsein kommen muß. Denn unter dem Mancherlei, das der Menschheit fehlt, ist gerade das, daß die Menschen verloren haben die Möglichkeit, in ihren Gefühls- und Willensimpulsen noch die wahren Realitäten zu erleben. In die gro- ßen Illusionen wiegen sich die Menschen allmählich ein: daß sie das Erdenleben nach irdischen Gesetzen formen können, die größte Il- lusion, der sich die Menschen hingeben können. Eine große Illusion, die ihr Extrem, ihr radikales Extrem findet zum Beispiel in dem rei- nen materialistischen Sozialismus, der natürlich niemals zulassen wird, daß, wenn wir Menschen das geringste untereinander machen, die Toten mitwirken, sondern der alles nach ökonomischen, das heißt, nach rein physischen Gesetzen ordnet. Das ist das eine Extrem. Auf der anderen Seite das Extrem, von dem jetzt alle mögli- chen sogenannten Idealisten träumen: Über die ganze Welt hin, von allem Spirituellen absehend, rein programmatische, inner- und zwi- schenstaatliche Organisationen zu schaffen, durch welche vermeint- lich die Kriege abgeschafft werden sollen. Die Menschen werden sich davon überzeugen, wenn sie in eine solche Illusion sich einle- ben, daß sie gerade damit dasjenige, was sie abschaffen wollen, nicht abschaffen, sondern vielmehr heraufbeschwören, was sie abschaffen wollen. Es ist ein guter Wille in diesen Dingen. Es ist dasjenige, was aus dem materialistischen Zeitbewußtsein, ich möchte sagen, als eine politische Spitze des ganzen Erdenwesens hervorgehen muß, was aber genau zu dem Gegenteil von dem führen wird, was man damit eigentlich bezwecken will. Dasjenige, um was es sich handelt, das ist, daß über die Erde sich verbreiten muß das Verständnis des Schicksalsgemäßen, daß dieses Verständnis des Schicksalsgemäßen auch die Gesetzgebungen, die politischen Organisationen ergreifen muß, denn die bilden ja die Grundlage für die Struktur der sozialen Verhältnisse. Dasjenige, was nicht mitgehen will mit dieser geistigen Entwickelung der Menschheit, das wird einfach in Auflösung hin- eingehen, das wird nur abbauen, nur abtragen. Deshalb hängt es in- nig zusammen mit dem, was die Zeichen der Zeit heute bedeuten. Wir brauchen hier nicht irgendwelche, um es grob zu sagen, politischen Dinge zu treiben; das werden wir natürlich nicht. Aber die Zeitforderungen, die müssen gerade von denjenigen gesehen wer- den, welche ihren Blick richten wollen auf die geistige Entwickelung der Menschheit. Und verstanden muß werden: Auf dem Wege, auf dem heute fast überall gewandelt wird, ist der Christus nur zu verlie- ren; gewonnen werden kann er als einzig wirklich berechtigter Kö- nig und Herr der Erde nur durch die Erhebung der Menschheit zur Spiritualität. Dessen können Sie sicher sein: Wenn der Christus nicht so gesucht wird, wie ihn die einzelnen Konfessionen heute su- chen - die sich ja nun wirklich in der letzten Zeit in merkwürdiger Art überall in alle möglichen Kompromisse über eine Christus-Auffassung hineingefunden haben, die den Christus auch als Schlachtengott zu feiern wissen da und dort -, sondern wenn der Christus gesucht wird da, wo er in seiner Realität zu finden ist, in- dem die Menschen das Reich des Schicksalsgemäßen als eine Wirk- lichkeit verstehen werden, den Christus so finden werden, wie wir es heute angedeutet haben, dann wird jene zwischenstaatliche Orga- nisation geschaffen werden, die da bedeutet die Ausbreitung des wirklichen Christentums über das Erdenrund.

Daß man diesem Ziele nicht sehr nahe ist, das können Sie ja erse- hen, wenn Sie eine kleine Reflexion anstellen. Denken Sie einmal, Sie würden all den Leuten, die jetzt davon sprechen, wie sie den Frieden über die Welt herstellen wollen, die alle diese Programme vorbringen - wer redet nicht davon! -, Sie würden diesen Leuten entgegenstellen das Programm, den Christus der Menschheit zugänglich zu machen; dann würde Friede, dauernder Friede kommen, soweit er auf der Erde überhaupt möglich ist. Stellen Sie sich vor, was die verschiedenen Vereinigungen, die von dem ganz "guten Wil- len" ausgehen, sagen würden, wenn man ihnen dieses vorlegen wür- de! Wir haben es sogar erlebt, daß von dem Stellvertreter Christi auf Erden ein Friedensprogramm ausgegangen ist. Aber sehr viel wer- den Sie da vom Christus nicht drinnen gelesen haben!

Diese Dinge, ich weiß es, man nimmt sie gar nicht einmal ernst genug in der Gegenwart. Aber wenn sie nicht ernst genommen wer- den, wird die Menschheit auch keinen heilsamen Weg einschlagen können. Geradeso wie es eine Notwendigkeit ist, daß das Mysteri- um von Golgatha auf spirituelle Art begriffen wird, so ist es eine Notwendigkeit, daß die Menschen die Zeichen der Zeit so verste- hen, daß sie in Geisteswissenschaft wirklich etwas sehen, ohne wel- ches auch die äußere soziale Gestaltung der Zukunft nicht mehr aus- kommen kann. Selbst im öffentlichen Vortrage morgen werde ich solche Dinge zu berühren haben, wenn auch auf eine andere Art. Das ist dasjenige, was ich als eine zweite Betrachtung zu der vori- gen hinzufügen möchte, die wir damals angestellt haben über das Zusammenleben der sogenannten Toten mit den Lebenden.

Und nun möchte ich wohl die mir unsympathische Bemerkung, die ich in anderen Zweigen gemacht habe, auch hier zum Schluß ma- chen. Den meisten der lieben Freunde ist sie ja wohl bekannt, und nur um der Vollständigkeit willen muß ich sie machen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß die unglaublichsten verleumderischen Din- ge, die so sich anhören, daß man sogar verwundert ist darüber, wie irgendeine Scheußlichkeit in den Impulsen von Gemütern auf solche Dinge verfallen können, daß diese Dinge herumgehen in der Welt, und daß geisteswissenschaftliche Bewegung geschützt werden muß gegen diese - man kann schon sagen - ruchlosen Verleumdun- gen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß für die nächste Zeit, unbeschadet dessen, daß alles geschehen soll für die gesuchte esoteri- sche Entwickelung unserer Freunde, das, was an Privatbesprechun- gen im gewöhnlichen Sinne war, nicht mehr stattfinden kann. Denn gerade aus diesen Privatbesprechungen werden diese Verleumdun- gen zusammengestellt. Das eine also ist das, was ich notwendiger- weise unsere Freunde bitten muß, einzusehen, daß zunächst solche private Besprechungen nicht stattfinden können. Aber das wäre un- vollständig, wenn Sie nur das sagen würden; sondern dazu gehört die notwendige andere Ergänzung: daß, wer will - selbstverständlich, nur wer will! -, alles was jemals in solchen Privatbesprechun- gen gesagt und geschehen ist, rückhaltlos erzählen kann. Nichts gibt es, wenn man die Wahrheit sagt, was irgendwie verborgen zu wer- den braucht innerhalb unserer Bewegung.

Zu diesen zwei Maßnahmen bin ich gezwungen. Lassen Sie mir etwas Zeit; es werden andere Mittel und Wege gefunden, daß jeder zu seinem geisteswissenschaftlichen Rechte kommt. Aber geistes- wissenschaftliche Bewegung darf nicht durch solche, mit ihr gar nichts zu tun habende Dinge aufgehalten werden. Und daher müs- sen gerade diejenigen, die treu und ehrlich unserer Bewegung anhän- gen, verstehen, daß diese Besprechungen im gewöhnlichen Sinne nicht mehr stattfinden können, und daß auf der anderen Seite ich ei- nen jeden jeglichen Versprechens entbinde. Jeder kann dasjenige, was er selber will - niemand muß, selbstverständlich -, von mir aus überall mitteilen, denn es gibt nichts, was nicht gesagt werden dürf- te, wenn man es der Wirklichkeit, der Wahrheit gemäß erzählt. Da- mit aber das festgestellt ist, müssen diese zwei Verfügungen getrof- fen werden. Es tut mir sehr leid, daß ich diese Mitteilungen machen muß; aber ich weiß, daß gerade diejenigen unserer Freunde, die am besten stehen zu unserer Bewegung, die Notwendigkeit davon völlig einsehen, und daß sie gerade darin vollständig mitfühlen werden. Jetzt brauchen wir uns ja nur des Ernstes der Lage, in der wir in unserer Zeit sind, bewußt zu sein. Und daher ist gerade für mich ein solches Zusammensein jetzt immer, ich möchte sagen, ein besonders wichtiges, ernstes Ereignis; und ganz besonders jetzt in dieser kata- strophalen Zeit möchte ich, daß wir uns ganz ehrlich und echt durchdringen mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit des Zusammenhaltens in bezug auf unseren anthroposophischen Satz des Zusammenhaltens im Geiste. Wenn wir auch zeitweilig eben nicht räumlich uns finden können, wir bleiben im Geiste zusammen. In dem sehe ich den besten Gruß, den ich Ihnen entbiete, da wir wieder zusammen waren und vielleicht eben einige Zeit wiederum nur im Geiste Zusammensein können.

Note: