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Rudolf Steiner:

Der menschlische und der kosmische Gedanke

Erster Vortrag
Sweiter Vortrag
Dritter Vortrag
Vierter Vortrag

Erster Vortrag, Berlin, 20. Januar 1914

In diesen vier Vorträgen, die ich im Verlaufe unserer Generalversamm­lung vor Ihnen werde zu halten haben, möchte ich sprechen über den Zusammenhang des Menschen mit dem Weltall von einem gewissen Gesichtspunkte aus. Und diesen Gesichtspunkt möchte ich mit folgen­den Worten andeuten.

I disse fire foredragene, som jeg skal holde for dere i løpet av generalforsamlingen, vil jeg gjerne snakke om forbindelsen mellom mennesket og verdensaltet fra et bestemt synspunkt. Og dette synspunktet vil jeg antyde med følgende ord.

Der Mensch erlebt in sich das, was wir den Gedanken nennen können, und in dem Gedanken kann sich der Mensch als etwas unmittelbar Tätiges, als etwas, was seine Tätigkeit ausüben kann, erfühlen. Wenn wir irgendein äußeres Ding betrachten, zum Beispiel eine Rose oder einen Stein, und wir stellen dieses äußere Ding vor, so kann jemand mit Recht sagen: Du kannst niemals eigentlich wissen, wieviel du in dem Steine oder in der Rose, indem du sie vorstellst, von dem Ding, von der Pflanze, eigentlich hast. Du siehst die Rose, ihre äußere Röte, ihre Form, wie sie in einzelne Blumenblätter abgeteilt ist, du siehst den Stein mit seiner Farbe, mit seinen verschiedenen Ecken, aber du mußt dir immer sagen: Da kann noch etwas drinnenstecken, was dir nicht nach außen hin erscheint. Du weißt nicht, wieviel du in deiner Vorstellung von dem Steine, von der Rose eigentlich hast.

Mennesket opplever i seg selv hva vi kan kalle tanken, og i den tanken kan mennesket føle seg som noe umiddelbart virksomt, som noe som kan utføre sin virksomhet. Når vi betrakter en eller annen ytre genstand, for eksempel en stein eller en rose, og vi så forestiller oss disse tingene, så kan enhver med full rett si: Du kan egentlig aldri vite hvor mye du har av tingene. Du ser rosen, dens røde ytre, dens form, hvordan dens enkelte blomsterblader er delt, men du må alltid si deg: Det kan være noe mer der inne som ikke synes utvendig. Du vet ikke hvor mye du egentlig har av rosen, av steinen i din forestilling.

Wenn aber jemand einen Gedanken hat, dann ist er es selber, der diesen Gedanken macht. Man möchte sagen, in jeder Faser dieses seines Gedankens ist er drinnen. Daher ist er für den ganzen Gedanken ein Teilnehmer seiner Tätigkeit. Er weiß: Was in dem Gedanken ist, das habe ich so in den Gedanken hineingedacht, und was ich nicht in den Gedanken hineingedacht habe, das kann auch nicht in ihm drinnen sein. Ich überschaue den Gedanken. Keiner kann behaupten, wenn ich einen Gedanken vorstelle, da könnte in dem Gedanken noch soundso viel anderes drinnen sein wie in der Rose und in dem Stein; denn ich habe ja selber den Gedanken erzeugt, bin in ihm gegenwärtig, weiß also, was drinnen ist. Wirklich, der Gedanke ist unser Ureigenstes. Finden wir die Beziehung des Gedankens zum Kosmos, zum Weltall, dann finden wir die Beziehung unseres Ureigensten zum Kosmos, zum Weltall. Das kann uns versprechen, daß es wirklich ein fruchtbarer Gesichtspunkt ist, einmal die Beziehung des Menschen zum Weltall vom Gedanken aus zu betrachten. Wir werden also diese Betrachtung anstellen, und sie wird uns in bedeutsame Höhen anthroposophischer Betrachtung führen.

Men når noen har en tanke, så er det en selv som har dannet tanken. Man kan si, i hver fase av sin tanke er man inne i den. Derfor er man for hele tanken en deltager i sin virksomhet. Man vet: Det som er i tanken, det har jeg brakt inn i tanken, og hva jeg ikke har brakt inn i tanken, det kan heller ikke finnes der. Jeg overskuer tanken. Ingen kan påstå, når jeg forestiller en tanke, da kan så og så mye mer finnes i tanken, slik som det er tilfellet med rosen og steinen; for jeg har selv dannet tanken, er til stede i den, vet altså hva som er i den. Virkelig, tanken er vår uregne. Hvis vi finner tankens forbindlesetil kosmos, da finner vi forbindlesen mellom vårt uregne vesen til kosmos, til verdensaltet. Det kan loves oss, at det er et virkelig fruktbart synspunkt, å engang se på menneskets forholdt til kosmos ut fra tenkningen. Vi vil altså gå inn på denne betraktning, og den vil bringe oss inn i betydningsfulle høyder av antropsosofiske betraktninger.

Aber wir werden heute einen Unterbau aufzurichten haben, der vielleicht manchem von Ihnen etwas abstrakt vorkommen mag. Aber in den nächsten Tagen werden wir sehen, daß wir diesen Unterbau brauchen und daß wir ohne ihn uns nur mit einer gewissen Oberflächlichkeit den hohen Zielen nähern können, die wir in diesen vier Vorträgen anstreben. Das also, was eben gesagt worden ist, verspricht uns, daß der Mensch, wenn er sich an das hält, was er im Gedanken hat, eine intime Beziehung seines Wesens zum Weltall, zum Kosmos, finden kann.

Men i dag må vi opprette en underbygning som kan virke litt abstrakt for noen av dere. I løpet av de neste dagene vil vi nok se at vi trenger denne underbygning, og at vi uten denne underbygning bare kan nærme oss det høye målet til disse fire foredragene med en viss overflatiskhet. At altså , som det er sagt, vi kan love oss, at mennesket når det holder seg til det som der har i tanken, kan finne sitt vesens intime forbindelse til verdensaltet, til kosmos.

Nur hat die Sache eine Schwierigkeit, wenn wir uns auf diesen Gesichtspunkt begeben wollen, eine große Schwierigkeit. Ich meine nicht für unsere Betrachtung, aber für den objektiven Tatbestand hat es eine große Schwierigkeit. Und diese Schwierigkeit besteht darin, daß es zwar wahr ist, daß man in jeder Faser des Gedankens drinnen lebt und daher den Gedanken, wenn man ihn hat, vor allen Vorstellungen am intimsten kennen muß; aber, ja aber - die meisten Menschen haben keine Gedanken! Und dies wird gewöhnlich nicht mit aller Gründlichkeit durchdacht, daß die meisten Menschen keine Gedanken haben. Aus dem Grunde wird es nicht mit aller Gründlichkeit durchdacht, weil man dazu - eben Gedanken brauchte! Auf eines muß zunächst aufmerksam gemacht werden. Was im weitesten Umkreise unseres Lebens die Menschen verhindert, Gedanken zu haben, das ist, daß die Menschen für den gewöhnlichen Gebrauch des Lebens gar nicht immer das Bedürfnis haben, wirklich bis zum Gedanken vorzudringen, sondern daß sie statt des Gedankens sich mit dem Worte begnügen. Das meiste von dem, was man im gewöhnlichen Leben Denken nennt, verläuft nämlich in Worten. Man denkt in Worten. Viel mehr, als man glaubt, denkt man in Worten. Und viele Menschen sind, wenn sie nach einer Erklärung von dem oder jenem verlangen, damit zufrieden, daß man ihnen irgendein Wort sagt, das einen für sie bekannten Klang hat, das sie an dieses oder jenes erinnert; und dann halten sie das, was sie bei einem solchen Wort empfinden, für eine Erklärung und glauben, sie hätten dann den Gedanken.

Det er bare et vanskelighet med saken, når vi vil gå inn på dette synspunktet, en stor vanskelighet. Jeg mener ikke for vår betraktning, men for de objektive fakta finnes en stor vanskelighet. Og denne vanskelighet består i, at selv om det er riktig at man lever der inne i hver fase av tenkningen, når man har denne, av alle forestillinger man har, er dett den mest intime; men, ja men --- , de fleste mennesker har ikke noen tanker! Og dette blir vanligvis ikke gjennomtenkt med grundighet, fordi man til det - nettopp trenger tanker! Noe må man først bli oppmerksom på. Det som i videste forstand hindrer mennesker i å ha tanker, det er, at mennekset for det vanlige liv slett ikke alltid trenger å virkelig komme til tanker, men at man istedet for tanker er fornøyd med ord. Man tenker i ord. Mye mer enn man tror tenker man i ord. Og mange mennesker er tilfredse når de forlanger en forklaring på det ene eller det andre, at man sier et eller annet ord, som har en kjent klang, at de med dette ord husker dette eller noe annet; og da holder de det, som de ved et slikt ord opplever, for en forklaring, og tror at de da hadde tanker.

Ja, das, was ich eben gesagt habe, das hat in der Entwicklung des menschlichen Geisteslebens zu einer bestimmten Zeit dazu geführt, eine Ansicht heraufzubringen, welche heute noch viele Menschen, die sich Denker nennen, teilen. In der Neuauflage meiner «Welt- und Lebens­anschauungen im neunzehnten Jahrhundert» habe ich versucht, dieses Buch ganz gründlich umzugestalten, indem ich eine Entwicklungs­geschichte des abendländischen Gedankens vorausgeschickt habe, angefangen vom sechsten vorchristlichen Jahrhundert bis herauf ins neunzehnte Jahrhundert, und indem ich dann am Schlusse zu dem, was gegeben war, als das Buch zuerst erschien, hinzufügte eine Darstellung des, sagen wir, gedanklichen Geisteslebens bis in unsere Tage herein. Auch der Inhalt, der schon da war, ist vielfach umgestaltet worden. Da habe ich denn zu zeigen versucht, wie der Gedanke in einem bestimmten Zeitalter eigentlich erst entsteht. Er entsteht wirklich erst, man könnte sagen, um das sechste oder achte vorchristliche Jahrhundert. Vorher erlebten die menschlichen Seelen gar nicht das, was man im rechten Sinne des Wortes Gedanken nennen kann.

Ja, det som jeg nå har omtalt, det har i utviklingen av det menneskelige åndsliv på et bestemt tidspunkt ført til at et visst syn har oppstått som enda deles av mange mennesker som kaller seg tenkere. I nyopplaget av min "Verdensanskuelser i det nittende århundre", har jeg forsøkt å omforme boken gangske grundig, idet jeg har forutskikket historien om evolusjonen av den vestlige tenkning, fra det sjette århundret før Kristus. Også innholdet, som allerede var der, er på mange vis omgestaltet. Der har jeg da forsøkt å vise, hvordan tanken egentlig først oppstår i en bestemt tidsalder. Den oppstår først, kunne man si, omkring det sjette eller åttende århundre. Før det opplevede de menneskelige sjeler ikke i det hele tatt det, som man i ordets rette forstand kan kalle tanker.

Was erlebten die menschlichen Seelen vorher? Sie erlebten vorher Bilder. Und alles Erleben der Außenwelt geschah in Bildern. Von gewissen Gesichtspunkten aus habe ich das oftmals gesagt. Dieses Bilder-Erleben ist die letzte Phase des alten hellseherischen Erlebens. Dann geht für die menschliche Seele das Bild in den Gedanken über.

Hva opplevde de mennekelige sjeler tidligere. De opplevde bilder. Og all opplevelse av utenverdenen skjedde i bilder som jeg ofte har omtalt fra ulike synsvinkler. Denne billedopplevelse er den siste fase av den gamle klarsynte opplevelse. Så går for menneskets sjel bildet over i tanken.

Was ich in diesem Buche beabsichtigte, ist, dieses Ergebnis der Geisteswissenschaft einmal rein durch Verfolgung der philosophischen Entwicklung zu zeigen. Ganz nur auf dem Boden der philosophischen Entwicklung bleibend, wird gezeigt, daß der Gedanke einmal im alten Griechenland geboren worden ist, daß er entsteht, daß er herausspringt für das menschliche Seelen-Erleben aus dem alten sinnbildlichen Erleben der Außenwelt. Dann versuchte ich zu zeigen, wie dieser Gedanke weitergeht in Sokrates, in Plato, Aristoteles, wie er bestimmte Formen annimmt, wie er sich weiter heraufentwickelt und dann im Mittelalter zu dem führt, was ich jetzt erwähnen will.

Det som jeg har som siktemål i denne boken, er engang å vise dette åndsvitenskapelige resultat, rent ved å forfølge den filosofiske utviklingen. Ved helt å stå på grunnen av den filosofiske utviklingen blir det her vist hvordan tanken en gang i det gamle grekenland blir født, at den oppstår, at den utspringer for den menneskelige sjelsopplvelse fra den gamle sansebilledlige opplevelsen av utenverdenen. Så forsøkte jeg å vise hvordan tanken går videre i Sokrates, i Plato, Aristoteles, hvordan den antar bestemte former, hvordan den videreutvikles og så i Middelalderen fører til et, som jeg nå vil nevne.

Zu dem Zweifel führt die Entwicklung des Gedankens, ob es dasjenige überhaupt geben könne in der Welt, was man allgemeine Gedanken, allgemeine Begriffe nennt, zu dem sogenannten Nominalismus, zu der philosophischen Anschauung, daß die allgemeinen Begriffe nur Namen sein können, also überhaupt nur Worte. Es gab also für diesen allgemeinen Gedanken sogar die philosophische Anschauung, und viele haben sie noch heute, daß diese allgemeinen Gedanken überhaupt nur Worte sein können.

Norsk:
Utviklingen av tanken fører til tvil om hvorvidt det overhodet finnes i verden, det man kaller allmene tanker, allmenne begreper. Til den såkalte nominalisme fører det, til den filosofiske ankuelsen, at allmenbegrepene bare kan være ord, alså overhodet bare ord. Det fantes til og med en filosofisk anskuelse for disse allmenne tankene, og for mange er det fortsatt slik i dag, at disse generelle tankene bare kan være ord i det hele tatt.

Nehmen wir einmal, um uns das zu verdeutlichen, was eben gesagt worden ist, einen leicht überschaubaren und zwar allgemeinen Begriff; nehmen wir den Begriff «Dreieck» als allgemeinen Begriff. Derjenige nun, der da mit seinem Standpunkte des Nominalismus kommt, der nicht hinwegkommen kann von dem, was als Nominalismus sich in dieser Beziehung ausgebildet hat in der Zeit des elften bis dreizehnten Jahrhunderts, der sagt etwa folgendes: Zeichne mir ein Dreieck hin! - Gut, ich werde ihm ein Dreieck hinzeichnen, zum Beispiel ein solches:

Schön, sagt er, das ist ein besonderes, spezielles Dreieck mit drei spitzen Winkeln, das gibt es. Aber ich werde dir ein anderes hinzeichnen. - Und er zeichnet ein Dreieck hin, das einen rechten Winkel hat, und ein solches, das einen sogenannten stumpfen Winkel hat.

Norsk:
For å tydliggjøre det som nettopp er sagt, la oss en gang ta et lett overskuelig allment begrep; la oss ta begrepet "trekant" som allment begrep. De som nå kommer med sitt nominalistiske standpunkt, som ikke kan komme vekk fra det som har utviklet seg nominalisme i tiden fra det ellevte til det trettende århundre, de sier noe slikt: Tegn en trekant for meg! - Godt, jeg tegner en trekant, for eksempel en slik:
Bra, sier vedkommende, det er en spesiell trekant med tre spisse vinkler, de finnes. Men jeg vil tegne en til. Og han tegner en trekant til, som har en rett vinkel, og en slik som har en såkalt stump vinkel. om man selv kan innrømme generelle tanker

So, jetzt nennen wir das erste ein spitzwinkliges Dreieck, das zweite ein rechtwinkliges und das dritte ein stumpfwinkliges. Da sagt der Betreffende: Das glaube ich dir, es gibt ein spitzwinkliges, ein recht­winkliges und ein stumpfwinkliges Dreieck. Aber das alles ist ja nicht das Dreieck. Das allgemeine Dreieck muß alles enthalten, was ein Drei­eck enthalten kann. Unter den allgemeinen Gedanken des Dreiecks muß das erste, das zweite und das dritte Dreieck fallen. Es kann aber doch nicht ein Dreieck, das spitzwinklig ist, zugleich rechtwinklig und stumpfwinklig sein. Ein Dreieck, das spitzwinklig ist, ist ein spezielles, ist nicht ein allgemeines Dreieck; ebenso ist ein rechtwinkliges und ein stumpfwinkliges Dreieck ein spezielles. Ein allgemeines Dreieck kann es aber nicht geben. Also ist das allgemeine Dreieck ein Wort, das die speziellen Dreiecke zusammenfaßt. Aber den allgemeinen Begriff des Dreiecks gibt es nicht. Das ist ein Wort, das die Einzelheiten zusammenfaßt.

Das geht natürlich weiter. Nehmen wir an, es spricht jemand das Wort Löwe aus. Nun sagt der, welcher auf dem Standpunkt des Nomi­nalismus steht: Im Berliner Tiergarten ist ein Löwe, im Hannoverschen Tiergarten ist auch ein Löwe, im Münchner Tiergarten ist auch einer. Die einzelnen Löwen gibt es; aber einen allgemeinen Löwen, der etwas zu tun haben sollte mit dem Berliner, Hannoverschen und Münchner Löwen, den gibt es nicht. Das ist ein bloßes Wort, das die einzelnen Löwen zusammenfaßt. Es gibt nur einzelne Dinge, und es gibt außer den einzelnen Dingen, so sagt der Nominalist, nichts als Worte, welche die einzelnen Dinge zusammenfassen.

Diese Anschauung, wie gesagt, ist heraufgekommen; sie vertreten heute noch scharfsinnige Logiker. Und wer sich die Sache, die jetzt eben auseinandergesetzt worden ist, ein wenig überlegt, wird sich auch im Grunde genommen gestehen müssen: Es liegt da doch etwas Besonderes vor; ich kann nicht so ohne weiteres darauf kommen, ob es nun wirk­lich diesen «Löwen im allgemeinen» und das «Dreieck im allgemeinen» gibt, denn ich sehe es ja nicht recht. Wenn nun wirklich jemand käme, der sagen würde: Sieh einmal, lieber Freund, ich kann dir nicht zu­billigen, daß du mir den Münchner, den Hannoverschen oder den Berliner Löwen zeigst. Wenn du behauptest, es gäbe den Löwen «im allgemeinen», so mußt du mich irgendwo hinführen, wo es den «Löwen im allgemeinen» gibt. Wenn du mir aber den Münchner, den Hannover­schen und den Berliner Löwen zeigst, so hast du mir nicht bewiesen, daß es den «Löwen im allgemeinen» gibt. - Wenn jemand käme, der diese Anschauung hat, und man sollte ihm den «Löwen im allgemeinen» zeigen, so würde man zunächst etwas in Verlegenheit geraten. Es ist nicht so leicht, die Frage zu beantworten, wo man den Betreffenden hinführen soll, dem man den «Löwen im allgemeinen» zeigen soll.

Nun, wir wollen jetzt nicht zu dem gehen, was uns die Geistes­wissenschaft gibt; das wird schon noch kommen. Wir wollen einmal beim Denken bleiben, wollen bei dem bleiben, was bis zum Denken hin erreicht werden kann, und wir werden uns sagen müssen: Wenn wir auf diesem Boden bleiben wollen, so geht es eben nicht recht, daß wir irgendeinen Zweifler zum «Löwen im allgemeinen» hinführen. Das geht wirklich nicht. Hier liegt eine der Schwierigkeiten vor, die man einfach zugeben muß. Denn will man auf dem Gebiete des gewöhn­lichen Denkens diese Schwierigkeit nicht zugeben, dann läßt man sich eben nicht auf die Schwierigkeit des menschlichen Erkennens über­haupt ein.

Bleiben wir beim Dreieck; denn schließlich ist es für die allgemeine Sache gleichgültig, ob wir uns die Sache am Dreieck, am Löwen oder an etwas anderem klarmachen. Zunächst erscheint es aussichtslos, daß wir ein allgemeines Dreieck hinzeichnen, das alle Eigenschaften, alle Dreiecke enthält. Und weil es aussichtslos nicht nur erscheint, sondern für das gewöhnliche menschliche Denken auch ist, deshalb steht hier alle äußere Philosophie an einer Grenzscheide und ihre Aufgabe wäre es, sich einmal wirklich zu gestehen, daß sie als äußere Philosophie an einer Grenzscheide steht. Aber diese Grenzscheide ist eben nur die­jenige der äußeren Philosophie. Über diese Grenzscheide gibt es doch eine Möglichkeit, hinüber zu kommen, und mit dieser Möglichkeit wollen wir uns jetzt einmal bekannt machen. Denken wir uns, wir zeichnen das Dreieck nicht einfach so hin, daß wir sagen: Jetzt habe ich dir ein Dreieck hingezeichnet, und da ist es. Da wird immer der Einwand gemacht werden können: Das ist eben ein spitzwinkliges Dreieck, das ist kein allgemeines Dreieck. Man kann das Dreieck nämlich auch anders hinzeichnen. Eigentlich kann man es nicht; aber wir werden gleich sehen, wie sich dieses Können und Nicht­können zueinander verhalten. Nehmen wir an, dieses Dreieck, das wir hier haben, zeichnen wir so hin (nächste Zeichnung) und erlauben jeder einzelnen Seite, daß sie sich nach jeder Richtung, wie sie will, bewegt. Und zwar erlauben wir ihr, daß sie sich mit verschiedenen Schnellig­keiten bewege, so daß die Seiten zum Beispiel im nächsten Augenblick diese Lage annehmen.

Kurz, wir begeben uns in die unbequeme Vorstellung hinein, daß wir sagen: Ich will nicht nur ein Dreieck hinzeichnen und es so dann stehen lassen, sondern ich stelle an dein Vorstellen gewisse Anforde­rungen. Du mußt dir denken, daß die Seiten des Dreiecks fortwährend in Bewegung sind. Wenn sie in Bewegung sind, dann kann ein recht­winkliges oder ein stumpfwinkliges Dreieck oder jedes andere gleich­zeitig aus der Form der Bewegungen hervorgehen. Zweierlei kann man machen und auch verlangen auf diesem Ge­biete. Das erste, was man verlangen kann, ist, daß man es hübsch bequem hat. Wenn jemand einem ein Dreieck aufzeichnet, dann ist es fertig, und man weiß, wie es aussieht; jetzt kann man hübsch ruhen in seinen Gedanken, denn man hat, was man will. Man kann aber auch das andere machen: Das Dreieck gleichsam als einen Ausgangs­punkt betrachten und jeder Seite erlauben, daß sie sich mit verschie­denen Geschwindigkeiten und nach verschiedenen Richtungen dreht. In diesem Falle hat man es aber nicht so bequem, sondern man muß in seinen Gedanken Bewegungen ausführen. Aber dafür hat man auch wirklich den allgemeinen Gedanken Dreieck darinnen; er ist ja nur nicht zu erreichen, wenn man bei einem Dreieck abschließen will. Der allgemeine Gedanke Dreieck ist da, wenn man den Gedanken in fort­währender Bewegung hat, wenn er versatil ist.

Weil die Philosophen das, was ich eben jetzt ausgesprochen habe, den Gedanken in Bewegung zu bringen, nicht gemacht haben, deshalb stehen sie notwendigerweise an einer Grenzscheide und begründen den Nominalismus. Jetzt wollen wir uns das, was ich eben jetzt ausge­sprochen habe, in eine uns bekannte Sprache übersetzen, in eine uns längst bekannte Sprache. Gefordert wird von uns, wenn wir von dem speziellen Gedanken zu dem allgemeinen Gedanken aufsteigen sollen, daß wir den speziellen Gedanken in Bewegung bringen, so daß der bewegte Gedanke der allgemeine Gedanke ist, der von einer Form in die andere hineinschlüpft. Form sage ich; richtig gedacht ist: Das Ganze bewegt sich, und jedes einzelne, was da herauskommt durch die Bewegung, ist eine in sich abgeschlossene Form. Früher habe ich nur Einzelformen hingezeichnet, ein spitzwinkliges, ein rechtwinkliges und ein stumpfwinkliges Dreieck. Jetzt zeichne ich etwas auf - ich zeichne es eigentlich nicht auf, das sagte ich schon, aber vorstellen kann man sich das -, was die Vorstellung hervorrufen soll, daß der allgemeine Gedanke in Bewegung ist und die einzelnen Formen durch sein Stillestehen er­zeugt.

Da sehen wir, die Philosophen des Nominalismus, die notwendig an einer Grenzscheide stehen, bewegen sich in einem gewissen Reiche, in dem Reiche der Geister der Form. Innerhalb des Reiches der Geister der Form, das um uns herum ist, herrschen die Formen; und weil die Formen herrschen, sind in diesem Reiche einzelne, streng in sich ab­geschlossene Einzeldinge. Daraus ersehen Sie, daß die Philosophen, die ich meine, niemals den Entschluß gefaßt haben, aus dem Reiche der Formen herauszugehen, und daher in den allgemeinen Gedanken nichts anderes haben können als Worte, richtig bloße Worte. Würden sie herausgehen aus dem Reiche der speziellen Dinge, das heißt der Formen, so würden sie in ein Vorstellen hineinkommen, das in fortwährender Bewegung ist, das heißt, sie würden in ihrem Denken eine Vergegen­wärtigung des Reiches der Geister der Bewegung haben, der nächst­höheren Hierarchie. Dazu lassen sich aber die gemeinten Philosophen nicht herbei. Und als sich einmal einer in der letzten Zeit des abendländischen Denkens herbeigelassen hat, so recht in diesem Sinne zu denken, da wurde er wenig verstanden, obwohl viel von ihm ge­sprochen und gefaselt wird. Man schlage auf, was Goethe in seiner «Metamorphose der Pflanzen» geschrieben hat, was er die «Urpflanze» nannte; man schlage dann das auf, was er das «Urtier» nannte, und man wird finden, daß man mit diesen Begriffen «Urpflanze», «Urtier» nur zurechtkommt, wenn man sie beweglich denkt. Wenn man diese Beweglichkeit aufnimmt, von der Goethe selber spricht, dann hat man nicht einen abgezogenen, in seinen Formen begrenzten Begriff, sondern man hat das, was in seinen Formen lebt, was durchkriecht in der ganzen Entwicklung des Tierreiches oder des Pflanzenreiches, was sich in diesem Durchkriechen ebenso verändert, wie das Dreieck sich in ein spitzwinkliges oder ein stumpfwinkliges verändert, und was bald «Wolf» und «Löwe», bald «Käfer» sein kann, je nachdem die Beweglichkeit so eingerichtet ist, daß die Beweglichkeiten sich abändern in dem Durchgehen durch die Einzelheiten.

Goethe brachte die starren Begriffe der Formen in Bewegung. Das war seine große, zentrale Tat. Das war das Bedeutsame, was er in die Naturbetrachtung seiner Zeit eingeführt hat. Sie sehen hier an einem Beispiele, wie das, was wir Geisteswissen­schaft nennen, tatsächlich dazu geeignet ist, die Menschen aus dem her­auszuführen, woran sie notwendig heute haften müssen, selbst wenn sie Philosophen sind. Denn ohne Begriffe, die durch die Geisteswissen­schaft gewonnen werden, ist es gar nicht möglich, wenn man ehrlich ist, etwas anderes zuzugeben, als daß die allgemeinen Gedanken bloße Worte seien. Das ist der Grund, warum ich sagte: Die meisten Men­schen haben nur keine Gedanken. Und wenn man ihnen von Gedanken spricht, so lehnen sie das ab.

Wann spricht man zu den Menschen von Gedanken? Wenn man zum Beispiel sagt, die Tiere und Pflanzen hätten Gruppenseelen. Ob man sagt allgemeine Gedanken oder Gruppenseelen - wir werden im Laufe der Vorträge sehen, was für eine Beziehung zwischen den beiden ist -, das kommt für das Denken auf dasselbe hinaus. Aber die Gruppenseele ist auch nicht anders zu begreifen als dadurch, daß man sie in Be­wegung denkt, in fortwährender äußerlicher und innerlicher Bewegung; sonst kommt man nicht zur Gruppenseele. Aber das lehnen die Men­schen ab. Daher lehnen sie auch die Gruppenseele ab, lehnen also den allgemeinen Gedanken ab.

Zum Kennenlernen der offenbaren Welt braucht man aber keine Ge­danken; da braucht man nur die Erinnerung an das, was man gesehen hat im Reiche der Form. Und das ist das, was die meisten Menschen überhaupt nur wissen: was sie gesehen haben im Reiche der Form. Da bleiben dann die allgemeinen Gedanken bloße Worte. Daher konnte ich sagen: Die meisten Menschen haben keine Gedanken. Denn die all­gemeinen Gedanken bleiben für die meisten Menschen nur Worte. Und wenn es unter den mancherlei Geistern der höheren Hierarchien nicht auch den Genius der Sprache geben würde, der die allgemeinen Worte für die allgemeinen Begriffe bildet, die Menschen selber würden das nicht tun. Also richtig aus der Sprache heraus bekommen die Menschen zunächst ihre allgemeinen Gedanken, und sie haben auch nicht viel anderes als die in der Sprache aufbewahrten allgemeinen Gedanken.

Daraus ersehen wir aber, daß es doch etwas Eigenes sein muß mit dem Denken von wirklichen Gedanken. Daß es etwas ganz Eigentüm­liches damit sein muß, das können wir uns daraus verständlich machen, wie schwer es eigentlich den Menschen wird, auf dem Felde des Ge­dankens zur Klarheit zu kommen. So im äußeren trivialen Leben wird man vielleicht oftmals behaupten, wenn man ein bißchen renommieren will, das Denken sei leicht. Aber es ist nicht leicht. Denn es erfordert das wirkliche Denken immer ein ganz enges, in gewisser Beziehung unbewußtes Berührtsein von einem Hauch aus dem Reiche der Geister der Bewegung. Würde das Denken so ganz leicht sein, so würden nicht so kolossale Schnitzer auf dem Gebiete des Denkens gemacht werden. So plagt man sich jetzt seit mehr als einem Jahrhundert mit einem Gedanken, den ich schon öfter angeführt habe und den Kant ausgesprochen hat.

Kant wollte den sogenannten ontologischen Gottesbeweis aus dem Feld schaffen. Dieser ontologische Gottesbeweis stammt auch aus der Zeit des Nominalismus, wo man sagte, daß es für die allgemeinen Be­griffe nur Worte gäbe und daß nicht etwas Allgemeines existiere, das den einzelnen Gedanken entsprechen würde wie die einzelnen Gedan­ken den Vorstellungen. Diesen ontologischen Gottesbeweis will ich als ein Beispiel anführen, wie gedacht wird.

Er sagt ungefähr: Wenn man einen Gott annehme, so müsse er das allervollkommenste Wesen sein. Wenn er das allervollkommenste Wesen ist, dann dürfe ihm nicht das Sein fehlen, die Existenz; denn sonst gäbe es ja ein noch vollkommeneres Wesen, das diejenigen Eigen­schaften hätte, die man denkt, und das außerdem existieren würde. Also muß man das vollkommenste Wesen so denken, ,daß es existiere. Man kann also den Gott gar nicht anders denken als existierend, wenn man ihn als allervollkommenstes Wesen denkt. Das heißt, man kann aus dem Begriffe selbst ableiten, daß es nach dem ontologischen Gottes-beweis den Gott geben muß.

Kant wollte diesen Beweis widerlegen, indem er zu zeigen versuchte, daß man aus einem Begriffe heraus nicht die Existenz eines Dinges gewinnen kann. Er hat dazu das berühmte Wort geprägt, das ich auch schon öfter angedeutet habe: Hundert wirkliche Taler seien nicht mehr und nicht weniger als hundert mögliche Taler. Das heißt, wenn ein Taler dreihundert Pfennige hat, so müsse man hundert wirkliche Taler zu je dreihundert Pfennigen rechnen, und ebenso müsse man hundert mögliche Taler zu je dreihundert Pfennigen rechnen. Es enthalten also hundert mögliche Taler ebensoviel wie hundert wirkliche Taler; das heißt, es ist kein Unterschied, ob ich hundert wirkliche oder hundert mögliche Taler denke. Daher darf man nicht aus dem bloßen Gedan­ken des allervollkommensten Wesens die Existenz herausschälen, weil der bloße Gedanke eines möglichen Gottes dieselben Eigenschaften hätte wie der Gedanke eines wirklichen Gottes.

Das erscheint sehr vernünftig. Und seit einem Jahrhundert plagen sich die Menschen herum, wie es mit den hundert möglichen und den hundert wirklichen Talern ist. Nehmen wir aber einen naheliegenden Gesichtspunkt, nämlich den des praktischen Lebens. Kann man von diesem Gesichtspunkte aus sagen, daß hundert wirkliche Taler nicht mehr enthalten als hundert mögliche? Man kann sagen, daß hundert wirkliche Taler just um hundert Taler mehr enthalten als hundert mögliche Taler! Es ist doch ganz klar: Hundert mögliche Taler auf der einen Seite gedacht und hundert wirkliche auf der anderen Seite, das ist ein Unterschied! Es sind auf der anderen Seite gerade hundert Taler mehr. Und auf die hundert wirklichen Taler scheint es doch gerade in den meisten Fällen des Lebens anzukommen. Aber die Sache hat doch auch einen tieferen Aspekt. Man kann näm­lich die Frage stellen: Worauf kommt es denn an bei dem Unterschied von hundert möglichen und hundert wirklichen Talern? Ich denke, es wird jeder zugeben: Für den, der die hundert Taler haben kann, ist zweifellos ein Unterschied zwischen hundert möglichen und hundert wirklichen Talern sehr vorhanden. Denn denken Sie sich, Sie brauchen hundert Taler, und jemand stellt Ihnen die Wahl, ob er Ihnen hundert mögliche oder hundert wirkliche Taler geben soll. Wenn Sie sie haben können, scheint es doch auf den Unterschied anzukommen. Aber nehmen Sie an, Sie wären in dem Fall, daß Sie die hundert Taler wirklich nicht haben könnten; dann könnte es sein, daß es für Sie höchst gleichgültig ist, ob Ihnen jemand hundert mögliche oder hundert wirk­liche Taler nicht gibt. Wenn man sie nicht haben kann, dann enthalten tatsächlich hundert wirkliche und hundertmöglicheTaler ganz gleich viel.

Das hat doch eine Bedeutung. Die Bedeutung hat es nämlich, daß so, wie Kant über den Gott gesprochen hat, nur in einer Zeit gesprochen wer den konnte, als man durch menschliche Seelenerfahrung den Gott nicht mehr haben konnte. Als er nicht erreichbar war als eine Wirklich­keit, da war der Begriff des möglichen Gottes oder des wirklichen Gottes gerade so einerlei, wie es einerlei ist, ob man hundert wirkliche Taler oder hundert mögliche Taler nicht haben kann. Wenn es für die Seele keinen Weg gibt zu dem wirklichen Gott, dann führt ganz gewiß auch keine Gedankenentwicklung dazu, die im Stile Kants gehalten ist.

Da sehen Sie, daß die Sache doch auch eine tiefere Seite hat. Ich führe es aber nur an, weil ich dadurch klarmachen wollte, daß, wenn die Frage nach dem Denken kommt, man schon etwas tiefer schürfen muß. Denn Denkfehler schleichen sich durch die erleuchtetsten Geister fort, und man sieht lange nicht ein, worin das Brüchige der Gedanken besteht, wie zum Beispiel des kantischen Gedankens von den hundert möglichen und den hundert wirklichen Talern. Es kommt beim Ge­danken auch immer darauf an, daß man die Situation berücksichtigt, in welcher der Gedanke gefaßt wird. Aus der Natur des allgemeinen Gedankens zuerst und dann aus dem Dasein eines solchen Denkfehlers wie des kantischen im besonderen versuchte ich Ihnen zu zeigen, daß die Wege des Denkens dennoch nicht so ganz ohne Vertiefung in die Dinge betrachtet werden können. Ich will noch von einer dritten Seite aus mich der Sache nähern.

Nehmen wir einmal an, hier wäre ein Berg oder ein Hügel und daneben ein schroffer Abhang. An diesem schroffen Abhange entspringe eine Quelle; die Quelle stürze senkrecht wie ein richtiger Wasserfall den Abhang hinunter. Unter den ganz gleichen Verhältnissen sähe man weiter oben auch eine Quelle. Die will ganz dasselbe wie die erstere; aber sie tut es nicht. Sie kann nämlich nicht als Wasserfall hinunterstürzen, sondern rinnt ganz hübsch in Form eines Baches oder Flusses hinunter. - Hat das Wasser andere Kräfte bei der zweiten Quelle als bei der ersten? Ganz offenbar nicht. Denn die zweite Quelle würde ganz dasselbe tun wie die erste, wenn der Berg sie nicht hinderte und nicht seine Kräfte hinaufschicken würde. Sind die Kräfte, die der Berg hinaufschickt, die Haltekräfte, nicht vorhanden, so wird sie wie die erste Quelle hinunterstürzen. Es kommen also zwei Kräfte in Betracht: Die Haltekraft des Berges und die Schwerkraft der Erde, vermöge der die eine Quelle hinunterstürzt. Die ist aber bei der anderen Quelle genau ebenso vorhanden, denn man kann sagen: Sie ist da, ich sehe, wie sie die Quelle herunterzieht. Wenn nun jemand ein Skeptiker wäre, so könnte er dies bei der zweiten Quelle leugnen und sagen: Da sieht man zunächst nichts, während bei der ersten Quelle jedes Wasserstäubchen heruntergezogen wird. Man muß also bei der zweiten Quelle in jedem Punkte hinzufügen die Kraft, welche der Schwerkraft entgegen­wirkt, die Haltekraft des Berges.

Nehmen wir nun an, es käme jemand und sagte: Was du mir da von der Schwerkraft erzählst, glaube ich nicht recht, und das, was du mir von deiner Haltekraft sagst, glaube ich dir auch nicht. Ist der Berg dort die Ursache, daß die Quelle jenen Weg nimmt? Ich glaube es nicht. - Nun könnte man diesen fragen: Was glaubst du denn dann? -Er könnte antworten: Ich glaube, da unten ist etwas von dem Wasser; gleich darüber ist ebenso etwas von dem Wasser, darüber wieder und so weiter. Ich glaube, daß das Wasser, welches unten ist, von dem Wasser darüber hinuntergestoßen wird, und dieses obere Wasser wird von dem über ihm hinuntergestoßen. Jede darüberliegende Wasserpartie stößt immer die vordere hinunter. - Das ist ein beträchtlicher Unterschied. Der erste Mensch behauptet: Die Schwerkraft zieht die Wassermassen herunter. Der zweite dagegen sagt: Das sind Wasserpartien, die schieben immer die unter ihnen liegenden hinunter, und dadurch geht dann das darüberliegende Wasser hinterher.

Nicht wahr, es wäre ein Mensch recht albern, der von einer solchen Schieberei sprechen würde. Aber nehmen wir an, es handle sich nicht um einen Bach oder einen Strom, sondern um die Geschichte der Mensch­heit, und es würde ein solcher zuletzt Charakterisierter sagen: Das ein­zige, was ich dir glaube, ist dies: Jetzt leben wir im zwanzigsten Jahr­hundert, da haben sich gewisse Ereignisse abgespielt; die sind bewirkt von solchen im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts; diese letzteren sind wieder verursacht von denen im zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts und diese wieder von denen aus dem ersten Drittel. - Das nennt man pragmatische Geschichtsauffassung, wo man in dem Sinne von Ursachen und Wirkungen spricht, daß man immer aus den betreffenden vorhergehenden Ereignissen die folgenden erklärt. So wie jemand die Schwerkraft leugnen und sagen kann, da schiebe bei den Wasserpartien immer jemand nach, so ist es auch, wenn jemand pragmatische Geschichte treibt und den Zustand im neunzehnten Jahr­hundert als eine Folge der Französischen Revolution erklärt. Wir frei­lich sagen: Nein, es sind noch andere Kräfte da außer denen, die da hinten schieben, die überhaupt gar nicht einmal im richtigen Sinne vor­handen sind. Denn geradesowenig, wie jene Kräfte beim Bergstrome dahinten schieben, sowenig schieben die dahinterstehenden Ereignisse in der Geschichte der Menschheit; sondern es kommen immer neue Einflüsse aus der geistigen Welt, wie bei der Quelle die Schwerkraft immer­fort wirkt, und mit anderen Kräften kreuzen sie sich, wie sich die Schwerkraft bei dem Strom kreuzt mit der Haltekraft des Berges. Wäre nur die eine Kraft vorhanden, dann würdest du sehen, daß die Ge­schichte ganz anders verläuft. Aber du siehst nicht die einzelnen Kräfte darin. Du siehst nur das, was physische Weltordnung ist, was be­schrieben wurde als Folge der Saturn-, Sonnen- und Mondentwicklung in der Erdenentwicklung; und du siehst nicht das, was fortwährend mit den Menschenseelen vorgeht, welche die geistige Welt durchleben und wieder herunterkommen. Das leugnest du einfach.

Aber wir haben eine solche Geschichtsauffassung, die sich ausnimmt, wie wenn jemand mit solchen eben charakterisierten Anschauungen kommen würde, und sie ist nicht so besonders selten. Sie wurde sogar im neunzehnten Jahrhundert als ungeheuer geistreich aufgefaßt. Was würden wir aber dazu sagen können von dem eben gewonnenen Ge­sichtspunkte aus? Wenn jemand von dem Bergstrome dasselbe behaup­tete wie von der Geschichte, so würde er einen absoluten Unsinn be­haupten. Was liegt denn aber da vor? Daß er denselben Unsinn be­hauptet in bezug auf die Geschichte, nur daß er es nicht merkt. Und die Geschichte ist so kompliziert, daß sie als pragmatische Geschichte fast überall so vorgetragen wird; nur merkt man es nicht.

Wir sehen daraus, daß allerdings die Geisteswissenschaft, welche für die Auffassung des Lebens gesunde Prinzipien zu gewinnen hat, auf den mannigfaltigen Gebieten des Lebens etwas zu tun hat; daß tat­sächlich eine gewisse Notwendigkeit besteht, das Denken erst zu lernen, sich erst bekanntzumachen mit den inneren Gesetzen und Impulsen des Denkens. Sonst kann einem nämlich allerlei Groteskes passieren. So zum Beispiel holpert, stolpert, humpelt einer gerade an dem Problem Denken und Sprache heute daher. Das ist der berühmte Sprachkritiker Fritz Mauthner, der jetzt auch ein großes philosophisches Wörterbuch geschrieben hat. Die dicke Mauthnersche «Kritik der Sprache» hat jetzt schon die dritte Auflage erlebt; es ist also ein berühmtes Buch für unsere Zeitgenossen geworden. Viel Geistreiches ist in diesem Buche enthalten, aber auch schreckliche Dinge. So zum Beispiel kann man darin den kuriosen Denkfehler finden - und man stolpert fast nach jeder fünften Zeile über einen solchen Denkfehler -, daß der gute Mauthner die Nützlichkeit der Logik anzweifelt. Denn für ihn ist Denken überhaupt nur Sprechen, und dann hat es keinen Sinn, Logik zu treiben, dann treibt man nur Grammatik. Aber außerdem sagt er:

Da es also eine Logik gar nicht geben kann, so sind also die Logiker Toren gewesen. Und dann sagt er: Im gewöhnlichen Leben entstehen ja aus Schlüssen Urteile und aus Urteilen erst Vorstellungen. So machen es die Menschen. Wozu braucht man dann erst eine Logik, wenn die Menschen sagen, daß sie aus Schlüssen Urteile, aus Urteilen Vorstellun­gen entstehen lassen? - Es ist das ebenso geistreich, als wenn jemand sagte: Wozu braucht man eine Botanik? Im vorigen Jahr und vor zwei Jahren sind noch immer die Pflanzen gewachsen! - Aber solche Logik findet man bei dem, der die Logik verpönt. Es ist ja begreiflich, daß er sie verpönt. Man findet noch viel merkwürdigere Dinge in diesem son­derbaren Buche, das mit Bezug auf das Verhältnis zwischen Denken und Sprechen nicht zur Klarheit, sondern zur Konfusion kommt.

Ich sagte, daß wir einen Unterbau brauchen für die Dinge, die uns allerdings zu den Höhen geistiger Betrachtung führen sollen. Ein Unterbau, wie er heute ausgeführt worden ist, mag manchem etwas abstrakt erscheinen; aber wir werden ihn brauchen. Und ich denke, ich versuche die Sache doch so leicht zu machen, daß durchsichtig sein kann, was ich gesagt habe. Besonders möchte ich Wert darauf legen, daß man schon durch solche einfachen Betrachtungen einen Begriff davon bekommen kann, wo die Grenze liegt zwischen dem Reiche der Geister der Form und dem Reiche der Geister der Bewegung. Daß man aber einen solchen Begriff bekommt, hängt innig damit zusammen, ob man überhaupt allgemeine Gedanken zugeben darf, oder ob man nur Vorstellungen oder Begriffe von einzelnen Dingen zugeben darf. Ich sage aus­drücklich: zugeben darf.

Auf diese Voraussetzungen, zu denen ich, weil sie etwas abstrakt sind, nichts weiter hinzufüge, wollen wir morgen weiter aufbauen.

Norsk:
Jeg sa at vi trenger grunnlag for de tingene som imidlertid skal lede oss til åndelige høyder. Et grunnlag, som jeg idag har utført, kan synes noe abstrakt for mange; men vi trenger det. Og jeg har forsøkt å gjøre saken så enkel, at det kan gjennomskues hva jeg vil ha sagt. Særlig legger jeg vekt på at man gjennom slike enkle betraktninger kan få et begrep om, hvor grensen ligger mellom formens ånder og bevegelsens ånder. At man kommer til et slikt begrep, henger innerlig sammen med om man overhoet vil innrømme allmene tanker eller om man bare vil innrømme forestillinger og begreper om enkelttingene. Jeg sier uttrykkelig: kan innrømme.

På disse forutsetningene, som fordi de er noe abstrakte ikke vil tilføre noe mer, vil jeg i morgen bygge videre.

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